Die Lokomotive (German Edition)
Geräusche aus meinem Hals die einzigen.
Das dreckige Salzwasser biss in meine Augen. Ich rieb, bis ich mich verschwommen umschauen konnte.
Nur mein Kopf und der Ansatz meiner Schultern ragten aus dem brackigen Wasser. Ein Wust aus Drähten und gesplittertem Holz umgab mich. Diese Seite des Wagons unterschied sich kein bisschen von der anderen Seite. Mein Schlauch verlor sich im Dickicht der Trümmer über mir.
Und kein Zeichen von Herrn Baehr.
Ich spuckte Blut. Das Schlauchende musste meinen Hals verletzt haben, das Schlucken schmerzte. Mein Kopf dröhnte von dem doppelten Schlag, und ich rieb über die Stelle, die zuletzt etwas abbekommen hatte. Ein Splitter ragte aus meiner Kopfhaut.
Ich kniff die Augen zu und pulte an ihm herum, bis meine zitternden Finger einen festen Griff gefunden hatten. Die Luft angehalten rupfte ich ihn mit einem Ruck heraus. Ein Holzsplitter, Pressspan, groß wie eine Visitenkarte, warm blutete es an meinem Ohr runter. Der Splitter musste von der verbogenen Trennwand direkt über mir stammen. Ich betrachtete ihn länger als nötig, dann wollte ich ihn wegwerfen, aber durch das Blut klebte er an meinem Finger fest. Angewidert wedelte ich mit meiner Hand, aber mit keiner meiner ruckartigen Bewegungen konnte ich ihn abschütteln. Schließlich flitschte ich ihn mit dem Zeigefinger in ein schwarzes Schattenloch.
Es rauschte in meinen Ohren. Ich legte meinen Kopf abwechselnd nach links und nach rechts und ließ das Wasser herauslaufen.
Die Stimme Herr Baehrs erreichte mich erst bruchstückhaft, dann verständlich.
„Alles klar bei Ihnen? Herr Ochs. Sagen Sie etwas!“
„Wo sind Sie?“, fragte ich.
„Ich bin hier.“
„Wo? Ich kann Sie nicht sehen.“
„Ich bin nicht weit weg.“
„Können Sie mich sehen?“
„Nein. Deswegen frage ich ja.“
„Wenn Sie mich nicht sehen können ... wie konnten Sie dann den Schnorchel sehen?“
Er zögerte, „Nein, konnte ich nicht. Ich konnte den Schnorchel nicht sehen.“
„Sehen Sie den Wagon?“, fragte ich und ahnte, was kam.
„Nein.“
„Warum? Sie haben mir doch eben erzählt, dass Sie den Wagon sehen würden, von der anderen Seite, die Aufbauten seien abgerissen und alles.“
„Ja, sind sie denn nicht zerstört?“
Als müsste ich mich noch einmal vergewissern, drehte ich mich um zu der Wagonruine herum, „Ja, sind sie.“
„Na, dann ...“
„Aber Sie konnten es nicht sehen!“
„Aber ich hatte recht!“
„Wenn ... ich dachte ... Sie liegen hier auf der anderen Seite des Wagons!“
„Tue ich ja auch. Nur nicht so nah dran.“
„Sie haben mich ... belogen!?“, meine Ungläubigkeit darüber schwang in jedem einzelnen Wort mit.
„Das sind harte Worte.“
„Ich hätte sterben können. Wäre diese Stelle intakt gewesen, ich wäre jämmerlich ertrunken. Ich wäre sowieso beinahe ertrunken.“
„Aber Sie sind es nicht.“
„Wie konnten Sie nur?“
„Sonst wären Sie doch auf der anderen Seite geblieben, bis Sie das Wasser eingeholt hätte.“
„Jetzt liege ich bis zum Hals in dem Schlammloch. Mein Gott, Sie haben gesagt, Sie würden das Schlauchende sehen! Wenn der Schlauch gar nicht aus dem Wasser geragt hätte, wäre ich sofort ...“ Ich konnte nicht weitersprechen, ich konnte es nicht glauben.
„Sie wollten aufhören“, sagte er, „Aber Sie mussten weiter. Ich musste ...“
„Und deswegen mussten Sie mich anlügen, mein Leben riskieren? Ach, wozu diskutiere ich mit jemandem, der mit einer Lüge mein Leben aufs Spiel gesetzt hat?“
„Das ist doch ihr tägliches Brot!“
„Wie?“
„Ihre Arbeit. So verdienen Sie doch ihr Geld, an der Börse, mit Lügen, allerdings zu ihrem eigenen Vorteil, nicht zum Vorteil der Belogenen natürlich, und dies war zu ihrem Vorteil! Ich habe zu ihrem Vorteil gelogen!“
Ich rang nach Worten.
„Los, Sie haben keine Zeit zu verlieren“, sagte er.
„Aber mein Leben.“
„Eben.“
Es gab keine Argumente mehr.
Meine Augen hatten sich mittlerweile wieder an das Licht gewöhnt. Zuerst nahm ich an, hier herrschte die gleiche Helligkeit, aber nun empfand ich das Licht gedämpfter, schummriger.
„Sagen Sie, ist das Licht noch schwächer geworden?“
„Ja.“
Mir wurde kalt, weil ich mich nicht mehr bewegte. Ich war nass und lag im eisigen Schlamm, ich musste raus. Gerade, als ich nach einem Eisenpfahl greifen
Weitere Kostenlose Bücher