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Die Lokomotive (German Edition)

Die Lokomotive (German Edition)

Titel: Die Lokomotive (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Nesch
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wollte, um mich in eine Nische zu ziehen, erlosch das Licht.
     
     
    In der Schrecksekunde zuckten meine im Schlamm verdrehten Glieder zusammen, als ob eine Gefahr in der Dunkelheit auf mich lauerte. Immer wieder riss ich meine Augen auf, um etwas erkennen zu können, Umrisse oder Schemen. Aber nichts. Nur Schwärze.
      „Das war’s dann wohl mit dem Scheinwerfer“, hörte ich Herrn Baehr sagen.
      „Der war schon öfter aus.“
      „Schon, aber das Licht wurde immer schwächer. Das lässt auf das Notaggregat schließen, die Batterie, jetzt mit der Flut ... sie ist sicherlich nass geworden, ein Kurzschluss, aus.“
      „Dann ist alles aus“, ich sah keine Möglichkeit, in der Dunkelheit mir meinen Weg in die Freiheit suchen zu können. Jetzt konnte ich nur noch hier warten. Warten und ersaufen.
      Mit der unverletzten Faust hämmerte ich gegen den Wagon. Ein dumpfes, entmutigendes Geräusch. Schnell ließ ich es wieder sein und tastete nach einem Stück Stahl. Alles, was ich fand, war eine große Mutter. Ich steckte meinen Mittelfinger durch und drosch gegen den Stahl, bis mir der Finger schmerzte. Mir kam das Geräusch mickrig vor, eher ein Klicken, kein großer Echohall, auf den mögliche Rettungstruppen reagieren konnten. Aussichtslos. Ich lauschte vergeblich.
      Herr Baehr ahnte das wohl, „Und? Was gedenken Sie als Nächstes zu tun.“
      Gedenken. Ich beruhigte mich mit der Ausrede, das wäre nur die Art und Weise, wie Menschen in seinem Alter reden. Das meinte er nicht so, wie es klang.
      „Ich gedenke, als Nächstes hier zu sterben.“
      Die Mutter saß fester auf meinem Finger, als ich erwartet hatte. Ich musste drehen, um sie abzuziehen, dann wog ich sie in meiner Hand und ließ sie in das Wasser plumpsen.
      „Darf ich Sie an Ihr Versprechen erinnern, Herr Ochs?“
      Die Mutter berührte tief unten in der Kuhle meinen Fuß.
      „Das Versprechen ... was für ein Quatsch! Wir sind eingeklemmt, in totaler Dunkelheit, abgeschnitten von der Umwelt, umgeben von Trümmern und Toten. Ich in einer Schlammgrube, in die Sie mich gelockt haben. Werde ich nicht bald erschlagen oder zerquetscht, krepiere ich durch Ertrinken oder Unterkühlung.“
      „Sie müssen da raus.“
      „Was Sie nicht sagen.“
      „Dann machen Sie sich auf den Weg.“
      „Hier ist es stockdunkel. Ich sehe keinen Weg“, sagte ich.
      „Tasten Sie.“
      „Ich weiß noch nicht mal in welche Richtung.“
      „Bis vorhin wollten Sie unbedingt zu mir.“
      „Das war, bevor Sie mich belogen haben.“
      „Seien Sie nicht so empfindlich. In ihrem Metier gehört Lügen zum guten Ton.“
      „Ich bin im Augenblick alles andere als in meinem Metier“, fluchte ich, und um das Gesagte zu unterstreichen, schlug ich mit der flachen Hand einige Male in den Schlamm, dass es mir bis ins Gesicht spritzte.
      „Und es war eine Lüge, die Ihnen helfen sollte!“, sagte er.
      „Was kräftig nach hinten losging.“
      „Das sehe ich nicht so.“
      „Hören Sie auf.“
      „In Anbetracht der Tatsache, dass Sie nicht mehr weit von mir entfernt sind und Sie, anders als ich, unverletzt sind ...“
      „Von unverletzt kann dank Ihnen übrigens auch nicht mehr die Rede sein!“ Beim Sprechen schmerzte jedes Wort in meinem Hals, ich befühlte das Loch in meinem Kopf. Eine Kruste hatte sich um die Wunde gebildet.
      „Bisher haben Sie sich nicht über ihre Verletzungen beschwert. Ich sage Ihnen eines: verletzt und verletzt ist nicht das Gleiche“, sagte er.
      „Sie müssen es ja wissen.“
      „Ich weiß es.“
      Sinnlos, und weil weder er noch irgendjemand anders auf der Welt meine Geste sehen würde, winkte ich ab, in seine vermeintliche Richtung, in die Dunkelheit, alleine.
      Jetzt war ihm auch die Energie ausgegangen. Herr Baehr schwieg.
      Ich hievte mich zitternd vor Kälte aus dem Schlamm. Nur ein leises Glucksen und Schmatzen entstand, dann schmiegte ich mich an die Trümmer, die das Loch umzäunten. Seitlich liegend wunderte ich mich über diese perfekte Finsternis, in der nicht ein Umriss zu erkennen war.
      Hinter mir hörte ich ein kurzes Stöhnen von Herrn Baehr und sein Räuspern, das er nach einer Zeit der Stille stets seinen Worten vorausschickte. So hatte ich meine Ohren gespitzt, als er leiser als sonst sagte, „Ich habe ein Feuerzeug bei mir.“
     
     
      „Wie bitte?“, fragte ich.
      „Ein Benzinfeuerzeug, ein Zippo.“
      Wieder keimte Hoffnung in mir auf. Hoffnung

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