Die Lucifer Direktive
wieviel er gelernt hatte.
Als er endlich zu sich kam, fühlte sich sein Kopf dreimal so groß an. In seinen Schläfen pochte es, und auf seinem Genick schien ein Gewicht von zwanzig Pfund zu lasten. Sein Blick wurde allmählich klarer und ließ eine Gestalt im Mantel erkennen, die auf der Polsterbank ihm gegenüber saß.
Der Mann hatte graues Haar und einen schwarzen Schnäuzer. Dan hatte ihn erst zweimal gesehen, aber er erkannte ihn sofort. Er schauderte, versuchte, die Arme zu bewegen, mußte aber feststellen, daß sie ihm auf den Rücken gefesselt worden waren. Neben ihm rührte sich Gabriele, in ihren Augen flackerte wieder Leben auf. Ihre Hände waren wie seine gefesselt.
»Ich möchte mich für die Fessel entschuldigen, young Lennagin«, sagte der Mann. »Aber ich hielt sie für notwendig, bis ich eine Gelegenheit habe, zu erklären, wer ich bin. Sonst könnten Sie und Ihre junge Freundin vielleicht versuchen, mich zu überrumpeln, und dann wäre ich gezwungen, Ihnen wieder weh zu tun.« Sein Englisch hatte einen leicht ausländischen Akzent. Dan kannte ihn, konnte ihn aber nicht einordnen.
»Ich gehe davon aus, daß wir längst tot wären, wenn Sie vorhätten, uns zu töten.«
Der Mann lachte leise. »Oh, ganz bestimmt.«
»Was wollen Sie also?«
Jetzt lachte der Mann ganz offen. »Vor allem euer Leben retten. Das ist das vierte Mal, erinnern Sie sich? Providence, Washington, die Herbertstraße und heute.«
»Heute?«
»Blacks Leute warten in Amsterdam.«
Dan traten fast die Augen aus dem Kopf vor Überraschung, dann vor Verwirrung. Das ergab doch keinen Sinn. »Sie sind mein Schutzengel!«
»Ich glaube, man könnte so sagen.«
»Wer sind Sie?«
»Oberst Stephan Ivanovitch Koralski«, stellte sich die Gestalt im Mantel stolz vor und erhob sich.
»Oberst?«
Koralski nickte und begann, Dans Fessel zu lösen.
»Vom KGB. Abteilung V. Ich überbringe die Grüße der Sowjetunion.«
»Wir müssen uns wohl unterhalten«, sagte Dan nach einer Pause, die ihm länger vorkam, als sie war, und massierte sich die verkrampften Armmuskeln.
»Und das werden wir, wenn wir erst mal den Zug verlassen haben.« Koralski beugte sich zu der immer noch schweigenden Gabriele hinunter, um sie zu befreien. Sie starrte ihn aus den Augen einer Katze an, die jeden Moment zuschlagen wollte.
»Sehen Sie«, fuhr Koralski fort, »wenn ich Sie beide schon gefunden habe, dann können Sie sich vorstellen, wie leicht es für Black ist.« Lennagin wollte etwas sagen. »Nur keine Sorge, er befindet sich nicht in diesem Zug, noch in Amsterdam. Er muß sich um andere Angelegenheiten kümmern. Allerdings vermute ich, daß er jemanden in Wassel zusteigen läßt. Vielleicht Ihren Freund mit dem stählernen Arm, Lennagin.«
Dan fühlte, wie es ihm eiskalt den Rücken runterlief. »Sie kennen ihn?«
»Unsere Wege haben sich mal gekreuzt. Er ist nur unter dem Namen Tungsten bekannt.«
»Was wollen wir denn machen?«
»In Oldenburg aussteigen, natürlich.«
»Der Zug hält nicht in Oldenburg.«
»Diesmal doch.«
Ein paar Minuten später rollte der Zug in den Bahnhof der kleinen Stadt Oldenburg ein. Es war niemand zur Begrüßung von Fahrgästen erschienen, denn niemand erwartete seine Ankunft. Pro Tag hielten nur zwei Züge hier, einer fuhr gen Osten, einer gen Westen. Koralski stieg mit Gabriele und Dan aus dem Zug und führte sie zu einem wartenden Lieferwagen, wobei er sich wachsam zwischen ihnen und den angrenzenden, die Freiheit versprechenden Hügeln hielt. Er schloß die Hecktüren hinter ihnen.
»Wohin jetzt?« fragte Dan.
»Zu einem Flugplatz, den meine Leute öfter für Abstecher in den Westen benutzen. Seine genaue Lage muß Sie nicht kümmern.«
Der Lieferwagen war komfortabel mit weichem Teppichboden und Vinylbänken ausgestattet, die wie eine Sitzgruppe im Rechteck angeordnet waren. An einer Seite befand sich ein Kühlschrank, zwei kleine Schränke und ein verschlossener Aktenschrank. Koralski ging zum Kühlschrank und holte eine Packung Obstsaft heraus. Dann drei Gläser aus dem Schrank.
Gabriele flüsterte Dan etwas ins Ohr.
»Ich glaube, das Mädchen traut mir nicht, young Lennagin«, bemerkte Koralski und blickte zu ihnen hinüber, statt die Erfrischung einzugießen.
»Gibt es irgendeinen Grund, weshalb ich das sollte?« fragte Gabriele herausfordernd.
»Ich bin Ihre einzige Hoffnung, in zwei Tagen noch am Leben zu sein. Reicht das nicht?«
»Ich bin zehn Jahre lang auch alleine zurechtgekommen,
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