Die Ludwig-Verschwörung
auch irgendeine dritte Partei, die wir noch nicht kennen. Oder Freunde von Albert Zöller, die uns beobachten.«
»Glaubst du immer noch, dass er etwas mit dem Mord an deinem Onkel zu tun hat?« Steven schüttelte den Kopf. »Vergiss es, er hat uns vorhin mit seiner Ludwig-Nummer das Leben gerettet! Wir sollten ihm wirklich dankbar sein.«
»Trotzdem.« Sara nahm einen tiefen Zug. »Irgendwas stimmt nicht. Onkel Paul kannte Zöller doch! Warum hat er ihn nicht um Rat gefragt, wenn Onkel Lu doch so gut über den König Bescheid weiß? Stattdessen ist mein Onkel schnurstracks zu den Guglmännern gegangen.«
»Aber dann muss etwas passiert sein«, erwiderte Steven nachdenklich. »Dieser Nautonier der Guglmänner hat doch erzählt, dass sein Kontakt zu Paul Liebermann plötzlich abgerissen ist. Stattdessen ist der Professor dann zu mir gekommen, weil er Material zur Entzifferung der Kurzschrift brauchte.«
»Verdammt!« Ärgerlich drückte Sara ihre Zigarette an einem der Bettpfosten aus und warf sie auf den Boden. »Ich bin sicher, mein Onkel wüsste, was es mit diesen nebulösen Gedichten und Zahlen auf sich hat! Ich habe das Gefühl, je weiter wir vorankommen, umso mehr stochern wir im Dunkeln.«
»Und umso größer wird die Gefahr, dass wir dieses Abenteuer selbst mit dem Leben bezahlen«, murmelte Steven. »Egal, was dahintersteckt, ich hätte mich nie darauf einlassen sollen.«
»Verflucht, Steven! Begreif doch!« Sara sah ihm fest in die Augen. »Das Rätsel zu lösen ist unsere einzige Chance! Oder willst du der Polizei erklären, was sich in dem Museum zugetragen hat?«
Steven raufte sich die Haare. Wieder rollte eine Welle von Erinnerungen heran. »Ich weiß einfach nicht, wie lange ich das noch aushalte. Mir ist, als würde irgendetwas nach mir greifen, etwas …« Er zögerte kurz, bevor er weitersprach: »Etwas, das noch schlimmer ist als dieser Alptraum im Museum. Ein dunkler Fleck, ein schwarzes Loch tief in mir drin. Und es hat mit diesem verfluchten Buch zu tun! Manchmal glaube ich, ich werde schon genauso verrückt wie Ludwig.«
Eine neue Windböe rüttelte an den dünnen Holzwänden des Bootshauses. Der Wind pfiff durch die Fensterläden, für Steven hörte es sich an wie das Jammern eines kleinen Kindes.
Wie ein Kind, das nach seinen Eltern schreit, dachte er. Nach seinen Eltern, die schon lange tot sind.
Sara beugte sich über ihn und bedeckte sein Gesicht mit kleinen Küssen. »Was immer es ist, Steven, du kannst es mir erzählen«, flüsterte sie. »Ich bin zwar kein Psychotherapeut, aber ich kann mindestens so gut zuhören wie Dr. Freud.« Sie bemühte sich um ein Lächeln, dann wurde sie wieder ernst. »Hat das etwas mit deinem Zusammenbruch vorhin in dem vernebelten Raum zu tun? Mit deinem merkwürdigen Gestammel? Du hast etwas von einem Feuer und einer Bibliothek gefaselt. Und von einem Teehaus. Was für ein Teehaus, Steven?«
Der Antiquar schüttelte den Kopf. »Es … es ist so lange her. Ich war damals erst sechs, ich kann mich … kaum erinnern.«
»Versuch es.«
Er atmete tief durch. »Meine Kindheitserinnerungen setzen eigentlich erst ein, als wir schon in Deutschland lebten«, begann er zögerlich. »Wir wohnten im Kölner Villenviertel Marienburg auf dem großen Anwesen, das zuvor meinen Großeltern mütterlicherseits gehört hatte. Mein Vater war ganz vernarrt in die monumentale Bibliothek seiner Schwiegereltern, die noch aus der Gründerzeit stammte. Und ich auch …« Steven schloss die Augen. »Noch heute sehe ich die hohen Regale aus Eichenholz vor mir, die Schiebeleiter, mit der man wie ein Adler an den Bücherreihen entlangschweben konnte, die vergilbten Ölgemälde an den Wänden, das Flirren von Staub vor dem Fenster …«Er blickte Sara wieder an und seufzte. »Ich war neu in Deutschland, hatte noch keine Spielkameraden, und diese Bibliothek in dem gespenstisch leeren Haus mit seinen vielen hohen Fluren und Räumen wurde mein Kinderzimmer, mein geheimes Reich. Ich habe mir in dieser Bibliothek selbst das Lesen beigebracht, mit den bunt illustrierten Fabeln von La Fontaine und einer alten fleckigen Ausgabe der Grimm’schen Märchen. Schon damals habe ich mich gerne hinter dicken Wälzern verkrochen. Sie geben mir Schutz, wie du dir vielleicht vorstellen kannst. Doch damals … damals haben sie den Tod gebracht.«
Sara sah ihn mit großen Augen an. »Was ist passiert?«
»Einige Monate nach unserem Einzug in die Villa lud mein Vater zu einem Willkommensball
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