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Die Ludwig-Verschwörung

Die Ludwig-Verschwörung

Titel: Die Ludwig-Verschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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ein«, fuhr Steven stockend fort. »Es gab wohl noch ein paar versprengte Teile der Familie in Deutschland, außerdem Freunde und Kollegen – wen man eben so einlädt. Es sollte ein rauschendes Fest werden, die Männer trugen alle Smoking und Frack, die Frauen Ballkleider, ein kleines Kammerorchester spielte im Salon Haydn, Mozart und Schubert. Ich … ich weiß noch, dass mir ziemlich langweilig war. Also ging ich in die Bibliothek im ersten Stock, um allein zu sein. Weil ich nicht an den Lichtschalter kam, habe ich wohl eine Kerze angezündet. Nein, keine Kerze, es … es war ein Lampion. Und da war dieser Tresor hinter dem alten Bismarck-Ölgemälde …« Er machte eine Pause und versuchte sich zu erinnern. »In dieser Nacht stand der Tresor zufällig offen. Mein Vater muss vergessen haben, ihn abzuschließen …«
    »Du hast nachgesehen?«, unterbrach ihn Sara.
    Steven nickte. »Etwas war dort drin, aber ich … ich weiß einfach nicht mehr, was es war! Ab hier herrscht in meinem Kopf Schwärze. Wenn ich mich konzentriere, sehe ich jedes Mal ein Mädchen mit blonden Zöpfen, das versucht, mir die Augen auszukratzen. Ihr weißes Kleid brennt, ich höre ein Knistern und Prasseln, überall ist beißender Rauch …«
    »Mein Gott«, hauchte Sara. »Du hast versehentlich die Bibliothek angezündet! Darum dein Schock vorher im Museum. Der Rauch hat die Erinnerung geweckt!«
    Steven zog die dünne Wolldecke fest um seinen Körper und nickte. »Das Nächste, an was ich mich erinnere, ist, dass ich durch den großen, mit Lampions geschmückten Garten meiner Großeltern laufe. Ich renne und renne, bis zu dem verfallenen Teehaus am Ende des Gartens. Ich … ich habe gedacht, dass Mum und Dad mir nie verzeihen würden. Also bin ich in das dunkle Teehaus gekrochen und hab mich dort versteckt.«
    Es dauerte eine Weile, bis er weitersprach. Heulend und pfeifend rüttelte der Herbstwind draußen an den Fensterläden, so als wollte er Steven daran hindern, noch mehr zu erzählen.
    »Meine Eltern sind mit den übrigen Gästen in den Garten geflohen, als die Villa brannte«, sagte der Antiquar mit monotoner Stimme. »Doch als sie mich draußen nicht fanden, sind sie wohl irgendwann trotz der Flammen zurück ins Haus. Sie riefen immer wieder meinen Namen, ich konnte es bis ins Teehaus hören. Aber ich hatte zu große Angst, um ihnen zu antworten. Dad konnte sehr böse werden, wenn ich seine Bücher zerfledderte, und jetzt brannte die ganze Bibliothek lichterloh, das ganze Haus! Ich hab mich unter den Tisch gekauert und mir die Ohren zugehalten. Das Letzte, an was ich mich erinnere, sind die Schreie meiner Eltern … ihre Schreie aus der brennenden Bibliothek …«
    »Sie sind bei dem Brand ums Leben gekommen?«, fragte Sara leise. »Alle beide?«
    Steven nickte. »Weil ich ihnen nicht geantwortet habe. Sie müssen so lange nach mir gesucht haben, bis sie vom Feuer eingeschlossen waren und im Rauch schließlich qualvoll erstickten. Als die Feuerwehr kam, hat mich einer der Männer im Teehaus ganz am Ende des Gartens weinen gehört und mich schließlich unter dem Tisch gefunden. Ich bin dann von einer mit meinen Eltern befreundeten Familie adoptiert worden.«
    Er lächelte müde. »Ich hätte es schlimmer treffen können. Mein Stiefvater war Hans Lukas, der allseits geschätzte Münchner Professor für Englische Literatur, und meine Stiefmutter Elfriede war die Herzensgüte in Person. Sie sind erst vor zwei Jahren beide kurz hintereinander gestorben. Meine eigentlichen Eltern haben mir ein sattes Erbe hinterlassen, das ich nach und nach verprasst und für alte Bücher ausgegeben habe. Trotzdem …« Steven wischte sich kurz über die Augen. »Das Einzige, was ich noch von meiner richtigen Mutter weiß, ist, dass sie wunderbare Märchen und Lieder aus ihrer Kölner Heimat kannte. Meine Liebe zu Deutschland fußt wohl auf diesen Erinnerungen. Vielleicht suche ich diese Märchen noch immer in den Büchern.« Er lachte verzweifelt und schlug sich an die Stirn. »Jetzt klinge ich tatsächlich wie ein Psychotherapiepatient auf der Couch! Ich hoffe, du hast fleißig mitgeschrieben.«
    »Dummkopf.« Sara gab ihm einen sanften Nasenstüber. »Mach dich nicht darüber lustig. Es ist gut, dass du es erzählt hast. Vielleicht verstehe ich dich ja jetzt ein wenig besser.«
    Steven lächelte. »Das würde mich freuen. Ich finde nämlich, dass wir gar nicht so schlecht zusammenpassen. Wer weiß, möglicherweise könnte aus uns beiden nach

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