Die Ludwig-Verschwörung
aus dem Wagen. Nachdem sie Sara und Onkel Lu mit einem abschätzigen Blick gestreift hatte, begrüßte sie Steven mit einem kurzen Nicken. »Guten Abend, Mr Landsdale! Wie ich sehe, sind Sie tatsächlich mit Ihrer reizenden Begleitung gekommen. Schade, ich hätte mich gerne allein mit Ihnen getroffen. Aber ganz, wie Sie wünschen.« Sie sah auf ihre silberne Armbanduhr. »Sie sind spät. Ich wollte schon fast ohne Sie hineingehen.«
»Tut mir leid, aber Peggy hat mit ihrer Toilette ein wenig länger gebraucht«, sagte Steven lächelnd. »Sie kennen ja die jungen Praktikantinnen heutzutage. Nichts als Schminken im Kopf.«
Die Konzernchefin musterte Sara spöttisch, während diese blass wurde und sich auf die Lippen biss. Schließlich wies Luise Manstein auf eine kleine eiserne Tür am Fuß der Burg. »Na, sei’s drum, man kann sich sein Personal eben nicht immer aussuchen. Dann kommen Sie mal. Ich habe nicht die ganze Nacht lang Zeit.«
Noch einmal blickte Steven nach oben, wo die weißen Mauern der Burg in die Höhe ragten. Plötzlich sah Neuschwanstein richtig bedrohlich aus, wie ein Geisterschloss, dessen Pforten sich nun vielleicht für immer hinter ihnen schließen würden. Er schüttelte den Gedanken ab und folgte Luise Manstein zu der eisernen Tür.
Rechts neben dem Eingang war eine kleine Tastatur in der Mauer angebracht. Die Konzernchefin tippte einen Zahlencode ein, legte ihren Daumen auf ein Feld und starrte in eine gewölbte Linse auf Augenhöhe. Es dauerte eine Weile, dann öffnete sich mit einem leisen Summen das Sicherheitsportal. Gemeinsam betraten sie einen langen gewölbeartigen Gang, der sich unübersehbar weit vor ihnen erstreckte. Das Licht am Eingang reichte nur wenige Meter weit, aber immer, wenn sie ein neues Segment des Tunnels betraten, flammte eine rötlich flackernde Notbeleuchtung auf. Während sie dahinmarschierten, hatte Steven das Gefühl, mindestens die doppelte Länge des Schlosses abzugehen.
Endlich erreichten sie über eine Treppe einen langgezogenen Souvenirshop, der im Erdgeschoss des Schlossgewölbes untergebracht war. Die hohe Halle war bis zur Decke vollgestellt mit kitschigen Tassen, Tellern und Puzzleschachteln, jedes einzelne Stück versehen mit dem berühmten Konterfei des Königs. Auf Tischen und Stellagen überall im Raum lagen Ludwig-Bierkrüge, Ludwig-Brotzeitbrettchen, Ludwig-Puppen, Ludwig-Malbücher und sogar Ludwig-Spitzer in Form eines weißen Plastikschwans. Hinter der Kasse prangten etliche Poster, die Ludwig II. als strahlenden Jüngling zeigten. Auf keinem der Bilder war er der fette zahnlose Tyrann, der mit gerade mal vierzig Jahren am Starnberger See den Tod fand.
Wenn der König den ganzen Nippes sehen könnte, würde er sich vermutlich im Grabe umdrehen, dachte Steven. Ach was, er würde darin rotieren!
Luise Manstein bemerkte seinen Blick und sah den Antiquar spöttisch an. »Wussten Sie eigentlich, dass Ludwig seine Schlösser in die Luft sprengen lassen wollte, damit sie nicht von Unwürdigen entweiht würden?«, fragte sie mit tonloser Stimme. »Vielleicht wäre das die bessere Lösung gewesen. So wird die Welt nun von diversen Geschmacklosigkeiten überhäuft. Aber was soll’s!« Sie deutete auf ein Plastik-Tischservice mit goldenem Schloss-Motiv. »Was glauben Sie, wie viel Neuschwanstein jedes Jahr mit diesem Kram samt Eintrittskarten einnimmt? Über sechs Millionen Euro! Der König hat seine Schulden bereits hundertfach zurückgezahlt.«
»Wunderbar, das kommt alles in meine, äh … Story«, sagte Steven und zückte einen Notizblock. »Jetzt wäre es nur schön, wenn wir einen kurzen Blick auf die königlichen Gemächer werfen könnten.«
»Die Amerikaner und ihre sprichwörtliche Oberflächlichkeit.« Luise Manstein lächelte spöttisch. »Aber bitte, ich wollte Ihnen keine langen kulturhistorischen Vorträge halten. Ich werde mich jetzt in den Technikraum zurückziehen, Sie können in der Zwischenzeit nach Belieben im Palas herumwandeln. Sagen wir zwei Stunden?« Sie deutete auf eine Tür im rückwärtigen Teil des Souvenirladens. »Immer geradeaus, aber bitte nichts berühren! Sonst erleben Sie die neue Alarmanlage gleich am eigenen Leib, und die Polizei rückt mit einer Hundertschaft an. Bis später.«
Sie wandte sich ab und verschwand durch eine eiserne Tür zur Rechten, die mit einem weiteren Zahlencode gesichert war. Eine Weile standen Steven und die anderen noch schweigend im Raum, erst als die Schritte hinter der Tür
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