Die Ludwig-Verschwörung
verklungen waren, räusperte sich Sara lautstark.
»Sie kennen ja die jungen Praktikantinnen heutzutage«, äffte sie Steven nach. »Nichts als Schminken im Kopf. Haha, sehr witzig, Mr Landsdale.«
»Man wird doch noch einen kleinen Spaß machen dürfen. Kein Grund, eifersüchtig zu werden.« Steven zwinkerte Sara zu und schritt dann voraus. »Und jetzt bringen wir es endlich hinter uns. Wir haben nur noch zwei Stunden Zeit. Wenn wir bis dahin das Rätsel nicht lösen, werfe ich das verfluchte Buch in die Pöllat-Schlucht und stelle mich der Polizei.«
30
D ie Gemächer des Königs befanden sich im dritten und vierten Obergeschoss des Palas auf der Westseite des Schlosses.
Kaum waren sie oben angelangt, schüttete Albert Zöller seine Bücher auf dem Mosaikboden des Thronsaals aus und erklärte die hohe Halle mit dem gewaltigen Kronleuchter zu ihrem Hauptquartier. Der Saal war riesig, ein byzantinisch anmutender Bau mit einer sternengeschmückten Kuppel über zwei Stockwerke hinweg und einer Empore, die auf halber Höhe des Raums verlief.
Von dort schwärmten sie aus, um die einzelnen Zimmer zu untersuchen, doch eine erste oberflächliche Begehung brachte keinen einzigen brauchbaren Hinweis. Hinzu kam, dass sie es nicht wagten, die Möbelstücke und Wandgemälde zu berühren, aus Angst, die Alarmanlage auszulösen. Kleine Kameras an den Zimmerdecken zeugten davon, dass das Thema Sicherheit in Neuschwanstein mittlerweile großgeschrieben wurde. Albert Zöller knipste einige der Möbel mit seinem neuen großen Fotoapparat und sah dabei immer verstörter aus. Steven glaubte sogar, in Zöllers Gesicht eine Spur von Panik zu erkennen. Woran das lag, konnte er sich jedoch nicht erklären.
Ratlos stand Steven in der Mitte der enormen Halle und blickte nach oben, als könnte er dort das Lösungswort finden. Unter dem Kuppelgewölbe waren die Herrscher vorchristlicher Königreiche zu sehen, in der Apsis erkannte der Antiquar Jesus Christus, die zwölf Apostel und sechs weitere Könige. Die Wandgemälde im Raum verkündeten die Heldentaten von Heiligen, wobei Steven besonders ein Bild mit dem heiligen Georg als Drachenkämpfer ins Auge stach. Während im Vordergrund der Kampf zwischen Ritter und Untier wogte, erhob sich im Hintergrund auf einem Berg ein Schloss, das Neuschwanstein sehr ähnlich sah.
»Wo ist hier eigentlich der Thron?«, fragte Steven, und seine Stimme hallte in dem hohen Raum. »Das ist doch schließlich der Thronsaal.« Er wies auf die leere Apsis, zu der eine breite Treppe hinaufführte.
»Ludwig starb, bevor der Thron fertiggestellt wurde«, erwiderte Zöller. »Es gibt aber Zeichnungen. Das wäre ein Monstrum aus Gold und Elfenbein geworden, mit dem er Karl den Großen und Ludwig XIV. zugleich in den Schatten gestellt hätte. Alles hier sollte eben so sein wie die Musik Wagners: pompös und eine Spur zu laut.« Er lachte glucksend und deutete nach oben. »Das meiste hier ist ohnehin nur Lug und Trug. Die Kuppel ist eine Eisenkonstruktion, die Säulen sind aus Stuck, und am Kronleuchter hängen Glassteine. Das ganze Schloss ist eine einzige Theaterkulisse.«
Ächzend ließ sich Onkel Lu auf dem Fußboden nieder und begann in einem handtellerdicken Wälzer zu blättern.
»Lasst uns noch mal zusammenfassen«, knurrte er nach einer Weile. »Gesetzt den Fall, das Rätselwort hat wirklich etwas mit Richard Wagner zu tun, dann sprechen wir hier von fünf Themenbereichen. Jedem Raum im Palas ist eine Sage zugeordnet. Im Wohnzimmer erzählen die Wandgemälde aus der Lohengrin-Sage, im Arbeitszimmer ist es der Tannhäuser, im Schlafzimmer Tristan und Isolde, im Sängersaal Parzival und im Vorraum schließlich Sigurd und Gudrun.«
»Ich hab die einzelnen Namen schon alle in den Laptop eingegeben«, murrte Sara. »Nada. Aber das wäre ja auch zu einfach gewesen.«
Steven wandte sich an Albert Zöller. »Welchen Raum halten Sie für den wahrscheinlichsten?«
»Lohengrin war Ludwigs liebste Wagner-Oper«, sagte Onkel Lu nachdenklich. »Die hat ihn schon als Jugendlicher beeindruckt. Gut möglich also, dass Marot im Wohnzimmer bei den Lohengrin-Bildern einen Hinweis versteckt hat.«
»Wer war dieser Lohengrin eigentlich genau?«, fragte Sara neugierig. »Ich weiß von ihm nur, dass er singend in einem Schwanenboot über den See geschippert ist.«
Onkel Lu räusperte sich. »Die Figur geht auf die Parzival-Sage von Wolfram von Eschenbach zurück. Parzival ist der Gralskönig, also der Hüter des
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