Die Ludwig-Verschwörung
ohnehin alles zu spät. Also nahm ich den kleinen Zettel, entfaltete ihn und las den Namen darauf.
Im gleichen Moment begriff ich.
35
H ey, wir hatten recht! Wir hatten wirklich recht!« Saras Stimme riss Steven aus seinen Gedanken. Er war so absorbiert von der Lektüre des Buches, dass die Worte nur gedämpft zu ihm durchdrangen.
»Was … was meinst du?«
Sara deutete auf den Monitor ihres Laptops. »Die Gedichtzeilen und die römischen Ziffern! Sie bilden tatsächlich einen Satz! Schau selbst!«
Steven sah zu ihr hinüber, wo auf dem Bildschirm eine Tabelle grünlich aufflimmerte.
Ballade
Zeile
Wort
Lösung
Erlkönig
XVI
I
In
Belsazar
V
IV
dem
Der Graf von Thal
CXIII
II
vierten
Die Zauberin im Walde
LXXXXIII
V
Schloss
Lorelei
VII
III
des
Die Weiber von Winsperg
XVI
IV
Königs
Des Sängers Fluch
LIX
IV
zeugt
Der Ring des Polykrates
XV
I
ein
Das Lied vom Siegerich
LXXXXVIII
IV
Spross
Der Taucher
LXI
IV
vom
Der Fischer
XXVIII
IV
liebsten
Legende
XXX
IV
seiner
Ballade
XII
II
Schätze
In dem vierten Schloss des Königs zeugt ein Spross vom liebsten seiner Schätze.
Der Antiquar runzelte die Stirn. »Was in aller Welt …«, begann er.
»Fluch stand tatsächlich für Des Sängers Fluch von Ludwig Uhland, so wie du vermutet hast«, unterbrach ihn Sara hastig. »Legende und Ballade sind zwei eher unbekannte Gedichte von Goethe. Schwierig waren vor allem Thal und Winsperg. Aber Gott sei Dank sind in diesem alten Büchlein auch ein paar zu Recht vergessene Balladen drin.« Sara hielt triumphierend Zöllers Gedichtband in die Höhe. »Thal stammt nämlich aus Der Graf von Thal von Annette Droste-Hülshoff und Winsperg meint ein eher dröges Gedicht namens Die Weiber von Winsperg von Adalbert von Chamisso. Zusammen mit den römischen Ziffern kommt eben dieser Satz raus …« Sie betonte jedes einzelne Wort. »In dem vierten Schloss des Königs zeugt ein Spross vom liebsten seiner Schätze. Bingo! Wir haben das Rätsel endlich gelöst! Das ist der Ort, von dem die verrückte Luise vorhin gefaselt hat.«
Sara machte ein Victory-Zeichen und grinste breit. »Jetzt müssen wir nur noch zum vierten Schloss des Königs und …«
Steven zog die Augenbrauen hoch. »Zum vierten Schloss? Soviel ich weiß, hat Ludwig nur drei Schlösser bauen lassen. Linderhof, Herrenchiemsee und eben Neuschwanstein.«
Sara biss sich auf die Lippen. »Verflucht, du hast recht«, sagte sie leise. »Da stimmt was nicht.« Sie runzelte die Stirn. »Was ist mit Ludwigs Jagdhaus auf dem Schachen? Oder vielleicht Berg? Das ist immerhin ein Schloss, auch wenn Ludwig es nicht selber hat bauen lassen. Könnte das hinkommen?«
»Ich weiß nicht, irgendwie erscheint mir das unlogisch. Dieser ganze Aufwand, und dann Berg? Dann können wir gleich in der Münchner Residenz suchen.« Steven seufzte. »Egal, was es ist – wir müssen schnell handeln.« Steven sah hinüber zu Albert Zöller, der noch immer auf dem kalten Mosaikboden lag. Sein voluminöser Bauch senkte sich auf und ab wie ein Blasebalg, Schweiß floss in Bächen über sein kalkweißes Gesicht, er atmete schwer. »Lange wird Onkel Lu es nicht mehr machen.«
»Geben denn die letzten Tagebuchseiten vielleicht Aufschluss über dieses vierte Schloss?«, fragte Sara und zerknüllte nervös eine leere Zigarettenpackung.
»Bisher noch nicht.« Steven schlug wieder das Tagebuch auf, es gab noch einen allerletzten Eintrag. »Aber zumindest glaube ich nun zu wissen, was unsere liebe Luise so antreibt und was dieser Schatz tatsächlich ist.«
»Du weißt …« Sara sah ihn mit großen Augen an. »Red schon, was ist es? Geld? Eine Krone? Die Wahrheit über Ludwigs Tod?«
Steven schüttelte den Kopf. »Das sollten wir nur glauben. Zwar steht hier tatsächlich, wie der König ums Leben kam. Aber das ist bei weitem nicht Ludwigs größtes Geheimnis.«
»Sondern?«
»Die Lösung des Rätsels hat uns bereits einen ersten Hinweis gegeben«, erwiderte Steven. Er fuhr mit den Fingern über die enggeschriebenen Zeilen Marots. »Aber wie wär’s, wenn du mich noch fünf Minuten lesen lässt, von mir aus auch laut. Dann wissen wir die ganze Wahrheit.«
36
I ch erreichte Schloss Linderhof am späten Morgen. Die Wiesen waren nass von Regen und Tau, die vormittägliche Hitze des Sommertages ließ die Feuchtigkeit als Nebel emporsteigen. Der ganze Park war in weiße Wolken gebettet, er glich einer Traumwelt, durch die ich müde und fiebrig stapfte, auf der Suche nach meiner Liebsten.
Ich fand Maria bei
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