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Die Ludwig-Verschwörung

Die Ludwig-Verschwörung

Titel: Die Ludwig-Verschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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der Linde, wo wir uns das erste Mal getroffen hatten. Sie spielte dort mit Leopold, ihrem Sohn. Der Knabe floh lachend vor seiner Mutter, die ein weißes Tuch um ihre Augen gebunden hatte und wie ein Tanzbär im Kreis tappte. Leise schlich ich mich von hinten an und legte ihr die Hand auf die Schulter.
    »Ludwig, bist du’s?«, flüsterte sie. »Bist du endlich aus Neuschwanstein zurückgekommen? Wir haben dich vermisst.«
    Ich nahm ihr die Binde ab und drehte sie mit einer heftigen Bewegung zu mir um. Ihre Augen blickten mich verwirrt an, die plötzliche Helligkeit ließ sie blinzeln.
    »Du? Aber …?«
    »Ludwig ist tot«, sagte ich leise. »Seine Häscher haben ihn umgebracht.« Ich reichte ihr den versiegelten Brief. »Er bat mich, dir das zu geben. Maria, warum hast du mir nicht …«
    Meine Stimme erstarb, als ihr Blick mir verriet, dass ich recht gehabt hatte. Den Schmerz in ihrem Gesicht zu sehen, tat mir beinahe mehr weh als der Verlust meines geliebten Königs.
    Schweigend nahm sie das Kuvert entgegen, zu keiner Regung fähig. In kurzen Worten erzählte ich ihr schließlich, was geschehen war. Dann standen wir lange Zeit ohne ein Wort neben der Linde, bis ich bemerkte, dass Tränen auf den Brief fielen.
    Maria weinte.
    »Ich wusste, dass es einmal so kommen würde«, flüsterte sie. »Seine Feinde waren zu mächtig. Ich glaube, im Grunde hat er es immer gewollt. Er hat einfach nicht in diese Zeit gepasst.«
    »Mutter, was ist? Warum weinst du?«
    Leopold stand jetzt neben uns, mit seiner feingliedrigen Hand streichelte er Maria über die Schürze. Erst jetzt fiel mir auf, wie ähnlich er seinem Vater sah. Die schwarzen Locken, der ernste Blick, die lange Statur. Er würde einmal ein schöner Mann werden, so schön, wie sein Vater einst gewesen war. Würde er auch dessen tiefe Trauer, den Weltschmerz und die vielen kleinen Absonderlichkeiten erben?
    »Es ist nichts, Leopold«, sagte Maria und zwang sich zu einem Lächeln. »Geh spielen, ich komm gleich.«
    Der Junge trollte sich schmollend, und Marias Blick wurde wieder ernst. »Seit wann weißt du es?«, fragte sie schließlich.
    »Das mit dir und Ludwig? Erst als ich sah, wer diesen Brief erhalten sollte.« Ich seufzte tief. »Monatelang dachte ich, der Vater Leopolds wäre ein biederer Ehemann aus Oberammergau. Ich bin dir gefolgt, Maria. Verzeih mir, ich war krank vor Eifersucht! Es … es tut mir so leid!« Vor Scham hielt ich die Hände vors Gesicht. »Ich hab euch zusammen bei dem Haus am Dorfrand von Oberammergau beobachtet, die anderen Kinder, das Stickzeug auf der Bank … Ich war mir sicher, Leopold sei ein uneheliches Kind, das du mit diesem … diesem Bauern hättest!«
    »Du Dummkopf.« Sie lächelte wehmütig. »Der Bauer ist Kunstschnitzer und ganz nebenbei mein älterer Bruder. Ab und an besuch ich ihn mit dem Leopold, damit er wenigstens ein wenig Familie hat. Danach spür ich immer am stärksten, wie sehr mir ein starkes Mannsbild an meiner Seite fehlt, ein Vater für Leopold …« Erneut traten ihr Tränen in die Augen. »Aber der König hat mich doch so sehr gebraucht! Ich konnte ihn nicht allein lassen. Ich … ich war doch eine der wenigen, die ihn verstand …« Ihre Stimme versagte, und wir schwiegen einen Augenblick.
    Erst nach einer Weile fuhr ich stockend fort: »Die Art, wie Ludwig mit dir umgegangen ist. Die Eifersuchtsszene in Herrenchiemsee … Im Grunde hätte ich es schon viel früher ahnen können. Ich dachte, er wäre eifersüchtig auf dich, doch er war es auf mich. Weil er dich liebte! Und du?« Ich spürte, wie es mir die Kehle zuschnürte. »Liebst du ihn auch?«
    »Ach, Theodor. Es gibt so viele Arten von Liebe. Die Liebe zu einem Kind, zu den Eltern, zum Bruder, zum Geliebten …« Ich atmete auf, es tat gut, ihr Lächeln zu sehen, als sie weitersprach. »Der König konnte seine Liebe nie wirklich zeigen. Es war ja auch nur eine einzige Nacht auf dem Schachen, und er war so schüchtern wie ein Schulbub. Im Grunde war er schon damals wie ein Kind, oft verträumt. Und manchmal sehr zornig.«
    »Er bringt mich um, hast du damals auf der Insel gesagt.« Ich schlug mir an die Stirn, beinahe musste ich lachen. »Lange habe ich geglaubt, du meintest Carl von Strelitz, aber du meintest Ludwig!«
    »Er konnte rasend vor Eifersucht sein. Bei Männern wie bei Frauen. Wenn er von jemandem enttäuscht wurde, war es, als würde etwas in ihm zerbrechen.«
    Ich nickte. »Das habe ich am eigenen Leib erfahren.« Zaghaft deutete

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