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Die Ludwig-Verschwörung

Die Ludwig-Verschwörung

Titel: Die Ludwig-Verschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Großteil des bayerischen Adels stellen? Nur mit einem lebendigen König an unserer Seite hätten wir eine Chance gehabt, den Staatsstreich rückgängig zu machen. Jetzt ist es zu spät.«
    Eine ganze Weile sagte keiner etwas. Mitten in die Stille hinein nahm Hermann Kaulbach plötzlich seinen nassen Hut vom Kamin und wandte sich zum Ausgang.
    »Was haben Sie um Gottes willen vor?«, fragte Dr.   Loewenfeld erstaunt.
    »Ich werde dem König zumindest die letzte Ehre erweisen«, entgegnete er mit entschiedener Stimme. »Und wenn Sie, meine Herren, nur einen Funken Anstand im Leib besitzen, werden Sie das Gleiche tun.«
    Kaulbach verschwand nach draußen in den Regen, und nach einer kurzen Weile folgten wir anderen ihm. Nur der Baron blieb schwermütig vor dem Kamin sitzen und sah zu, wie das Feuer langsam herabbrannte. Sein Gesicht war hart und grau wie uralter Fels.
    Es war kurz nach Mitternacht, als wir endlich wieder in Berg ankamen. Überall im Schloss und im Park brannten helle Lichter, Menschen liefen aufgeregt umher, manche von ihnen weinten oder hielten sich gegenseitig umklammert, Gendarmen huschten wie unruhige Geister durch den Wald. Man hatte die Leichen Ludwigs und Dr.   Guddens erst vor einer guten Stunde gefunden, von der Strömung waren sie vom ursprünglichen Tatort ein Stück weit nach Norden getrieben worden. Von einer dritten Leiche sprach keiner. Wir vermuteten, dass der tote Carl von Strelitz bereits zuvor von eingeweihten Polizisten beseitigt worden war.
    In der allgemeinen Aufregung war es uns ein Leichtes, Zugang zum Schloss zu bekommen. Immerhin war Dr.   Loewenfeld der Leibarzt des Königs gewesen, wenn er ihn auch die letzten Jahre immer weniger gesehen hatte. Er war es auch, der es uns ermöglichte, noch einmal dem toten König zu kondolieren.
    Entgegen unseren Erwartungen war Seine Exzellenz noch nicht ins Berger Schloss gebracht worden, sondern lag gemeinsam mit Gudden unten im Bootshaus. Ein grimmiger Wachmann an der Tür gab uns Anweisung, die Toten nicht zu berühren. Man hatte sie bis zum Hals mit Tüchern bedeckt, doch in der Eile war offensichtlich vergessen worden, das Gesicht Ludwigs abzuwaschen. Sein Mund war wie zum stummen Schrei geöffnet, ein dünner Faden getrockneten Blutes klebte an seiner Wange.
    »Sehen Sie das viele Blut am Boden?«, flüsterte Dr.   Loewenfeld mir zu. »Das stammt vermutlich noch von Ihrem preußischen Agenten, bevor man ihn heimlich von hier weggeschafft hat. Oder von Ludwig selbst. Man wird diesen Raum jedenfalls gründlich säubern müssen, um sämtliche Spuren zu verwischen.«
    Wir vier nahmen die Hüte ab und verharrten schweigend vor unserem König, den wir hatten retten wollen und der uns nun für immer genommen war. Ganz deutlich spürte ich, dass etwas zu Ende ging. Mit Ludwig verschwanden die Märchen, verschwand der letzte Geist einer Epoche, in der es von Fabelwesen, starken Kriegern, Elfen und Zwergen gewimmelt hatte. Nun würden die Pragmatiker kommen, die Bürokraten.
    Mit einem Mal hörte ich ein Rascheln und sah, wie Hermann Kaulbach einen vom Regen feuchten Skizzenblock unter seiner Weste hervorkramte. Mit flinken Bewegungen bannte er den toten König aufs Papier, auch von Richard Hornig und Dr.   Schleiß von Loewenfeld fertigte er kleine Porträtzeichnungen an.
    »Und wenn sie alles verfälschen, dieser Moment wird bleiben«, sagte Kaulbach leise. Er sah hinüber zur halb geschlossenen Tür des Bootshauses. Der wachhabende Gendarm war gerade für eine Zigarette nach draußen gegangen.
    »Lasst uns versprechen, nichts von all dem zu vergessen. Das sind wir Seiner Majestät schuldig.«
    Wir nickten feierlich und murmelten unseren Schwur.
    Nur einen Augenblick später durchzuckte mich ein Gedanke. Kaulbachs Worte hatten mich an etwas erinnert: Auch ich war Ludwig noch etwas schuldig.
    Der Brief des Königs!
    Hatte Ludwig nicht selbst gesagt, es sei vielleicht der wichtigste, den er je geschrieben habe? Ich hatte versprochen, ihn in Linderhof einer unbekannten Person auszuhändigen. Und in der ganzen Aufregung hatte ich ihn nun vergessen!
    Meine Hand ging zu meiner linken Westentasche, wo sich der Brief und der Zettel mit dem Adressaten noch immer befanden. Wer nur mochte diese Person sein? Wer konnte so wichtig sein, dass Ludwig ihm den letzten Brief seines Lebens gewidmet hatte?
    Eigentlich hatte ich Weisung, dieses Geheimnis erst in Linderhof zu lüften. Doch nun drängte die Zeit! Vielleicht war nach dem Tod des Königs

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