Die Ludwig-Verschwörung
ist geschrieben, und die eidesstattliche Erklärung versteckt. Maria weiß den Ort nicht. Ich werde ihn vor ihr geheim halten, auch um nicht noch einen Menschen in Gefahr zu bringen. Mögen diejenigen den Ort finden, die den König so kennen und lieben, wie Maria und ich es getan haben.
Alles ist so eingetreten, wie wir es befürchtet hatten. Noch ein Jahr nach der Tat sind die Häscher des neuen Herrschers überall unterwegs, um jeden möglichen Zeugen des Komplotts zum Schweigen zu bringen. Ein Diener Ludwigs beging angeblich Selbstmord, andere starben auf ungeklärte Weise, wurden in Irrenanstalten eingeliefert oder gelten als verschollen. Auch meinem Mentor Dr. Schleiß von Loewenfeld haben die hohen Herren einen Maulkorb verpasst und mit weiteren Konsequenzen gedroht. Hornig und Kaulbach schweigen, ob aus Angst oder weil sie Geld bekommen haben, vermag ich nicht zu sagen.
Mich selbst werden sie nicht finden.
Ich sitze vor unserem kleinen Häuschen, irgendwo in einem versteckten Tal der Werdenfelser Alpen, und sehe Maria und Leopold beim Spielen zu. Meine Stelle als Assistent des königlichen Leibarztes habe ich gleich nach Ludwigs Tod aufgegeben, noch bevor mich der Prinzregent ohnehin vor die Tür gesetzt hätte. Das einfache Landvolk hier kann einen Arzt gut gebrauchen, bis jetzt sind die Menschen immer nur zum Bader gegangen. Ich schiene Knochenbrüche und behandle Keuchhusten mit Kamille, Sonnenhut und Huflattich, ich drücke mein Stethoskop auf die Brüste alter Weiber und höre mir ihre Tiraden über untreue, nichtsnutzige Ehemänner an, ich mische Arzneien in steinernen, zerkratzten Tiegeln und Mörsern, und doch kann ich mir keinen schöneren Beruf vorstellen.
Denn Maria ist bei mir, Maria und Leopold. Wir sind eine Familie, und auch wenn ich nicht der Vater bin, so spüre ich doch ein unsichtbares Band zwischen uns dreien, das keiner mehr trennen kann.
Nur gelegentlich fragt einer der Bauern nach dem Jungen und warum er mir so gar nicht ähnlich sieht. Dann sage ich die Wahrheit, nämlich dass sein Vater tot ist. Die Männer schweigen und nicken. Es wird nicht viel geredet in diesen einsamen tiefen Tälern der Alpen, und das ist gut so.
Gerade kommen Maria und Leopold über die abgemähten, stoppligen Felder auf mich zugelaufen, der Kleine breitet die Arme aus wie zum Flug. Die Sonne klettert über die Berge, und ihr Licht wandert von Baum zu Baum, von Haus zu Haus. Das Lachen Marias tönt zu mir herüber wie helles Glockenklingen.
In diesem Augenblick fühle ich mich wie ein König.
Gezeichnet,
Dr. Theodor Marot, im Jahre des Herrn 1887
PS: Ich werde dieses Tagebuch mit einer Haarlocke Leopolds und einigen ausgewählten Fotografien für die Nachwelt aufbewahren. Nach dem Tod von Maria und mir soll es in den Besitz Leopolds, den einzigen Sohn Ludwigs II., übergehen, dann an seine Kinder, und so fort, bis die Zeit endlich reif für die Wahrheit ist.
37
N ach dem letzten Satz herrschte eine Weile Schweigen im Thronsaal, nur Albert Zöllers röchelnder Atem war zu hören.
»Ludwig hatte einen Sohn?«, fragte Sara schließlich ungläubig und drückte ihre Zigarette aus. »Ist das das lang gehütete Geheimnis?«
Steven nickte. »Soweit ich weiß, gab es immer wieder Gerüchte um einen Erben«, erinnerte er sich. »Zöller hat so was mal erwähnt. Zwar war Ludwig allem Anschein nach homophil, trotzdem faszinierten ihn gewisse Frauen. Mit der Bildhauerin Elisabet Ney soll er auch ein Verhältnis gehabt haben.« Er tippte auf den Lösungssatz in Saras Laptop. »Erinnere dich. ›Im vierten Schloss des Königs zeugt ein Spross vom liebsten seiner Schätze‹. Dieser Spross ist offenbar Ludwigs Sohn Leopold, und die eidesstattliche Erklärung gibt davon Zeugnis.«
»Moment mal!«, warf Sara ein. »Du glaubst also, der Schatz in diesem vierten Schloss ist nichts weiter als diese eidesstattliche Erklärung, die Ludwig damals verfasste?« Sie schüttelte den Kopf. »So viel Leid, so viel Tote wegen eines einzigen Papierfetzens? Aber warum …«
Ihr Gespräch wurde unterbrochen durch ein bellendes Husten. Als sie sich umwandten, sahen sie, dass sich Albert Zöller mühsam aufgesetzt hatte und an der Wand lehnte. Er hielt sich den Bauch, seine Hände waren klebrig von Blut.
»Mein Gott, Onkel Lu!«, rief Sara. »Sie sollten nicht aufstehen! Wir hoffen, dass schon bald ein Arzt …«
»Vergesst den Arzt, Kinder«, ächzte Zöller. »Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass diese Manstein mich
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