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Die Ludwig-Verschwörung

Die Ludwig-Verschwörung

Titel: Die Ludwig-Verschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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zerfallenes, etwa fünf Meter hohes Gemäuer aus bröckligen Steinquadern. An manchen Stellen waren noch Fensterlöcher und Schießscharten zu erkennen. In neuerer Zeit hatte man im Inneren ein Treppengeländer angebracht, damit Wanderer von einer Plattform aus den grandiosen Ausblick genießen konnten. Ansonsten wirkte die Burg eher wie der Überrest eines Turms, den Wind und Wetter seit vielen hundert Jahren geschliffen hatten. Steven studierte eine rostige Informationstafel, die neben der Ruine angebracht war.
    »1889 hat hier mal der Blitz eingeschlagen, seitdem fehlt die gesamte östliche Giebelwand«, las er vor. »Undich nehme an, dass die Touristen in den letzten hundert Jahren jeden Stein umgedreht haben. Wie sollen wir hier ein einzelnes Dokument finden? Vermutlich ist es längst zerfallen und …«
    »Es existiert und es ist hier!!!«
    Luises schriller Schrei durchschnitt die sonst friedliche Morgenstille, sogar ihre beiden Paladine drehten sich erschrocken um.
    »Wir werden ebenfalls jeden Stein hier umdrehen, wenn es sein muss. Jeden!«, fuhr sie ein wenig ruhiger, aber ebenso bestimmt fort. »Ich habe Zeit. Meine Familie hat nicht über hundert Jahre gewartet, um jetzt auf den letzten Metern ungeduldig zu werden. Zur Not bleiben wir eben hier, bis wir den gesamten Gipfel umgegraben haben.«
    Die Blicke der beiden Aufpasser zeigten Steven, dass sie von dieser Idee alles andere als begeistert waren. Trotzdem griffen sie gehorsam zu Schaufeln und Spitzhacken und begannen zu graben.
    Währenddessen starrte der Antiquar hinüber zu dem kleinen weißen Punkt im Osten, der Neuschwanstein war. Stevens Gedanken waren bei Sara. Was hatte Lancelot mit ihr angestellt? Sie hatte Steven ganz offensichtlich belogen, und trotzdem liebte er sie. Hatte sie ihn nur benutzt, um an das Tagebuch zu kommen? War alles nur gespielt gewesen? Sara hatte ihm das Gefühl gegeben, endlich aus seiner einsamen staubigen Bücherwelt ausbrechen zu können, wieder jung zu sein. Doch so wie es jetzt aussah, war sie nichts weiter als eine Betrügerin.
    Und vermutlich bereits tot.
    Mit Tränen in den Augen setzte sich Steven neben einen alten verkrüppelten Baum, der unweit des Burgeingangs stand, und blickte hinunter in die gähnende Tiefe. Das verfluchte Tagebuch hatte ihn zurück in seine Kindheit und schließlich hierher geführt. Erneut überkam ihn das Verlangen, einfach hinunterzuspringen.
    Vielleicht treffe ich dann Sara wieder …
    Tristan und Galahad stöberten zunächst in den Mauernischen, dann fingen sie an, einzelne größere Steinbrocken herauszubrechen. Luise schritt derweil wie ein Panther im Käfig in dem kleinen Burghof auf und ab.
    »Es muss hier irgendwo sein!«, schrie sie. »Sucht, grabt, schaufelt! Vielleicht hat Marot ein Zeichen hinterlassen, eine Gravur im Fels, irgendetwas!«
    »Hast du schon den gigantischen Steinhaufen an der Nordseite der Burg gesehen?«, warf Steven ein und deutete müde lächelnd nach hinten. »Ich denke, ›Sisyphos‹ ist dir ein Begriff, Luise?«
    »Sehr witzig, lieber Vetter, sehr witzig.« Luise Manstein warf ihm eine schlammverkrustete Schaufel zu. »Ich schlage vor, du nimmst dir diesen Steinhaufen gleich mal vor. Galahad wird dich begleiten, komm also nicht auf dumme Gedanken.«
    Sie gruben über eine Stunde lang, und trotz der herbstlichen Kühle tropfte Steven schon bald der Schweiß von der Stirn. Der Geröllberg erstreckte sich über die gesamte Länge der Burgruine, ein karstiges Feld aus großen und kleineren Steinen, die sich zu allem Überfluss teilweise ineinander verkeilt hatten. Immer wieder sah Galahad finster zu ihm herüber.
    »Wenn wir diesen Scheiß-Brief endlich gefunden haben, dann bist du dran«, knurrte er. »Hier auf diesem Haufen werde ich dich eigenhändig steinigen. Jeden Brocken, den ich umdrehen musste, werf ich dir an den Schädel.«
    »Das kann ja dann noch dauern«, erwiderte Steven und richtete sich stöhnend auf. Sein Rücken schmerzte von der ungewohnten Arbeit. »Wenn wir Pech haben, lässt uns meine herzallerliebste Cousine noch die gesamte Burg abtragen.«
    Steven ging hinüber zu dem verkrüppelten Baum, wo einige Flaschen Wasser für sie bereitstanden. Während er in tiefen Zügen trank, blickte er hinunter zu dem Hotel, auf dessen Parkplatz noch immer der Helikopter wartete. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt, trotzdem hatte der Pilot bereits zwei frühmorgendliche Wanderer mit Nordic-Walking-Stöcken abwimmeln müssen. Kurz war Steven

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