Die Ludwig-Verschwörung
Sarg voranschritt? Wie all die Schranzen, Beamten und Lakaien mit Sorgenfalten und Kummerblick sich in den Trauerzug einreihten, wo sie doch innerlich jubelten? Fast wünschte ich mir in diesem Augenblick, dass die zwei Dutzend schwarzgekleideter Guglmänner mit ihren Fackeln auf das Pack eindreschen würden, doch sie schritten in ihrer gespenstischen Vermummung schweigend dem Zug voran, auf ihrer Brust das Wappen des Königs und die gekreuzten Knochen als Zeichen des Todes.
Als der Sarg aus der Residenz getragen wurde, brach kurz, wie zum letzten Gruß, die Sonne aus den Wolken. Die Münchner schauten zum Himmel hinauf, als würde Ludwig ihnen von dort oben noch einmal zuwinken. Der König war gerade in seine letzte Ruhestätte in der Gruft von St. Michael gebettet, da schlug mit lautem Krachen ein so greller Blitz hernieder, dass die Leute schreiend in die Knie gingen und sich die Ohren zuhielten. Für viele war das ein Zeichen, dass Ludwig noch immer unter uns weilt, und schon munkeln manche, er habe sich in die Tiefen des Natternberges bei Deggendorf zurückgezogen, von wo er kommen werde, um seine Mörder dereinst zu richten.
Doch ich weiß, dass das nicht stimmt. Der König ist tot.
NECAALAI
Wenn ich nun die Geschehnisse der letzten Monate aufzeichne, die zu seinem grausigen Ende geführt haben, so will ich mit Ludwigs letztem Geburtstag im August 1885 beginnen. Es war sein vierzigster. Hätten wir geahnt, dass kein weiterer folgen würde, wir hätten geweint und den König bekniet, endlich zur Vernunft zu kommen. Doch so ertrugen wir seine Launen und beteiligten uns an seinen Spielchen, wo er für jeden von uns eine feste Rolle vorgesehen hatte.
Wie fast jedes Jahr feierte Ludwig seinen Geburtstag in seiner Jagdhütte auf dem Berg Schachen im trutzigen Wettersteingebirge bei Garmisch. Die Bauern aus der Gegend hatten auf den Gipfeln Freudenfeuer entzündet, so dass wir umgeben waren von einem Lichterkranz, in dessen Mittelpunkt das hölzerne Palais stand. Nur wenige derer Getreuen hatte der König eingeladen, darunter seinen Adjutanten Alfred Graf Eckbrecht von Dürckheim-Montmartin, den Postillon Karl Hesselschwerdt und meine Wenigkeit.
Seitdem ich vor über zehn Jahren zum Assistenten Loewenfelds aufgestiegen war, hatte mich der König immer öfter zu sich eingeladen. Oft diskutierten wir dabei bis in die Morgenstunden über das französische Hoftheater oder die Gedichte Schillers, aber auch über diesen merkwürdigen Schriftsteller Edgar Allan Poe, den Ludwig von den zeitgenössischen Autoren am meisten liebte. Ich darf sagen, dass ich in diesen Jahren zu einem wirklichen Freund des Königs geworden war. Und auch, wenn mir seine Launen und Attitüden oft wie Spielereien eines zwölfjährigen Knaben vorkamen, so war er doch mein König. Ein poetischer, schwer melancholischer, streitbarer Mensch, wie es ihn auf diesem Erdball nicht ein zweites Mal gab. Ein Künstler als Staatsoberhaupt – welches Land kann so etwas von sich schon behaupten!
In dieser Nacht vom 24. auf den 25. August saßen wir noch spät im oberen Stockwerk des Schachenhauses zusammen, im sogenannten Türkischen Zimmer. Ludwig hatte diesen Raum vor ein paar Jahren nach dem Vorbild maurischer Paläste gestalten lassen. Ein Springbrunnen plätscherte sanft vor sich hin; weiche, ornamentverzierte Teppiche bedeckten den Boden, und die Wände waren mit vergoldeten Schnitzereien und bunt leuchtenden Glasfenstern verziert. Wir lehnten in Kaftans auf Kissen und Diwans, rauchten Wasserpfeife und schlürften Mokka aus winzigen pergamentdünnen Tässchen. Diener mit Turbanen und klimpernden Ohrringen fächerten uns mit Pfauenfedern Luft zu, von irgendwoher ertönte der Klang einer Schalmei.
Ich war derartige Inszenierungen von unserem König mittlerweile gewöhnt. Deshalb verwunderte es mich auch nicht, als er sich behäbig wie ein fetter Buddha in seinem Kissen erhob und mir von seiner Pfeife anbot.
»Liebster Mahmud, Großwesir und treuester meiner Muselmanen«, wandte er sich mit ernstem Blick an mich. »Ihr seid zu verspannt. Hier, nehmt einen Zug von diesem köstlichen Tabak. Das wird Euch helfen, einen Traum aus Tausendundeiner Nacht zu träumen.«
Lächelnd nahm ich die Pfeife an und tat einen tiefen Zug. Es kam durchaus öfter vor, dass uns der König mit historischen oder selbst erdachten Namen belegte. In den letzten Jahren war ich bereits Gawain, Gunther, der treue Eckhart und Minister Colbert gewesen. Warum also nicht auch
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