Die Ludwig-Verschwörung
Droschke an den kleinen Bauernhäusern vorbei, die noch immer zwischen den neuen Villen standen. Schwabing hatte sich in den letzten Jahren mehr verändert als die meisten anderen Münchner Vororte. An einer Straßenecke lehnten ein paar buntgekleidete lachende Damen mit kurzen Haaren und wiegten die Hüften zu Musik, die aus einem der Wirtshäuser dröhnte. Junge Herren mit hungrigem Blick und in abgewetzten schäbigen Anzügen flanierten durch die Gassen, Stapel von Büchern unter dem Arm. Laut bimmelnd schoss eine dieser neuartigen Pferdebahnen von rechts aus einer Seitenstraße.
Schließlich erreichte ich wieder die vornehme Max-Vorstadt, bog links in die Schellingstraße ein und hielt vor dem erst vor einigen Jahren neu eröffneten Schellingsalon. Die Gaststätte war ganz im Wiener Kaffeehausstil erbaut, mit hohen hellen Fenstern und einem hübschen Garten, in dem ein paar schattenspendende Kastanien standen. Von Strelitz und der Sekretär stiegen wortlos aus und begaben sich ins Innere des Etablissements.
»Sie warten hier«, raunte mir der Agent noch zu. Dann war er in der Gaststätte verschwunden.
Ich mochte vielleicht zehn Minuten nägelkauend auf meinem Kutschbock verbracht haben, als sich plötzlich eine zweite Droschke näherte. Die Verschlagtür öffnete sich, und ein kleiner älterer Herr mit grauem Vollbart erschien. Er trug einen Gehstock und einen dunklen Anzug aus feinem Stoff, hinter seinem Kneifer leuchteten kluge Augen. Ich war mir sicher, den Mann schon irgendwo mal gesehen zu haben, konnte aber beim besten Willen nicht sagen, bei welcher Gelegenheit. Es musste irgendwo am Hofe gewesen sein.
Schnurstracks betrat der ältere Herr den Schellingsalon und ließ mich mit meinen düsteren Gedanken allein. Was sollte ich tun? Bis jetzt hatte ich nicht mehr herausgefunden, als dass Preußen und die bayerische Ministerriege offenbar irgendetwas gegen den König planten. Ich fluchte leise, weil mir der Name des Mannes mit dem grauen Vollbart nicht einfiel.
Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Entgegen jeglicher Vorsicht stieg ich vom Kutschbock, ging zur Gaststätte und öffnete zaghaft die Tür. Die meisten Leute saßen wegen des schönen Septemberwetters draußen im Biergarten, hier drinnen waren nur wenige Tische mit Zeitung lesenden, rauchenden Herren besetzt. Im hinteren Teil der Stube waren im Tabakdunst einige Billardtische zu erkennen, an denen aber keiner spielte. Von dort führte eine Tür aus milchigem Glas offenbar in ein Separee.
Lächelnd bestellte ich bei der Kellnerin ein kleines Bier, dann begab ich mich hinüber zu den Billardtischen. Die geschlossene Glastür war nicht weit entfernt, ich konnte tatsächlich leises Stimmengemurmel dahinter vernehmen. Um nicht aufzufallen, griff ich nach einem Billardqueue und tat so, als würde ich einige Stöße üben, während meine Aufmerksamkeit ausschließlich dem Gespräch im Separee galt. Wenn ich mich konzentrierte, waren die Stimmen hinter dem Glas einigermaßen gut zu verstehen.
»… dürfen keinen Tag mehr länger zögern«, sagte der Sekretär Pfaffinger gerade. »Es melden sich jede Woche neue Handwerker, die der König nicht mehr auszahlen kann. Und das ist nur der Gipfel des Ganzen!«
»Sie meinen seine ganzen kleinen Verrücktheiten?«, warf von Strelitz ein. »Bismarck hat mir bereits davon erzählt.«
»Er spricht bei Tisch mit König Ludwig XIV. und der lieben Marie Antoinette!«, jammerte Pfaffinger. »Mit Toten! Wenn er überhaupt spricht. Meistens steht er gegen fünf Uhr abends auf und reitet die ganze Nacht durch; tagsüber müssen die Zimmer dann verdunkelt bleiben, weil Seine Majestät schläft oder liest. Und diese Verkleidungen! In Linderhof müssen die Lakaien in Felltracht umherlaufen und mit ihm Ringelpiez spielen! Und auf dem Schachen hält er sich für den Kalif von Bagdad! Er ist untragbar, eine Schande für unser Land!«
»Stimmt es, dass einer seiner Diener sich ihm nur noch mit schwarzer Maske nähern darf?«, fragte von Strelitz. »Und ein anderer muss aus Strafe ein Lacksiegel auf der Stirn tragen?« Er lachte leise. »Kein schlechter Einfall. Manchmal würde ich meinen Beamten auch gerne mein Siegel ins Hirn brennen.«
»Sie haben gut reden«, seufzte Pfaffinger. »Sie müssen ja auch nicht Tag für Tag mit seinen Verrücktheiten leben. Was meinen Sie, Herr Doktor? Ist dieser Mann nicht hochgradig wahnsinnig?«
Die letzten Sätze waren offenbar an den dritten Mann gerichtet, der sich nun
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