Die Ludwig-Verschwörung
letzte Billardkugel, dann sprang ich über den laut fluchenden Agenten hinweg und stieß im Vorbeirennen die Kellnerin um, die soeben mit einem Tablett voller Biergläser den Saal betreten hatte. Die Gläser zerbrachen splitternd auf dem Boden, und ich eilte an der schreienden Bedienung hinaus ins Freie auf meine Droschke zu.
Ohne Zögern griff ich nach der Reitpeitsche, ließ sie knallen, und sofort setzte sich der Einspänner klappernd in Bewegung. Als ich mich umwandte, sah ich mit Schrecken, dass auch von Strelitz in den Biergarten hinausgerannt kam. Er steuerte die zweite Drosckke an, deren Fahrer offenbar noch immer auf Dr. von Gudden wartete. Von Strelitz stieß den verdutzten Kutscher vom Bock, löste die Zügel und folgte mir auf der Schellingstraße Richtung Ludwigstraße.
Im wilden Trab rasten wir beide an den Mietskasernen und Schänken vorbei und bogen schließlich in die breite Prachtstraße ein. Aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass von Strelitz langsam, aber stetig aufholte. Seine Droschke war jetzt nur noch eine Wagenlänge von meiner entfernt. Ich konnte sein hassverzerrtes, vom Aufprall der Billardkugel blutendes Gesicht erkennen; die linke Hand umklammerte die Zügel, die rechte hielt die Pistole auf mich gerichtet. Ein weiterer Knall ertönte, und ich duckte mich, als etwas mit dem Geräusch einer wütenden Biene über mich hinwegsauste. Mittlerweile versuchte von Strelitz mich zu überholen. Andere Fuhrwerke kamen seinem Einspänner entgegen und mussten ausweichen. Ich hörte das Fluchen der Kutscher und sah, wie eine Droschke samt Pferden zur Seite kippte und an den Stufen der Feldherrnhalle zerschellte.
Schweißüberströmt gab ich meinem Gaul die Peitsche, die Hufe klapperten im wilden Galopp über die Pflastersteine. Ich wusste: Wenn der preußische Agent mich einholte, würde er mich am helllichten Tag erschießen, ganz egal, ob es hier mitten in München von Gendarmen wimmelte. Zu wichtig war ihm, dass ich dem König keine Meldung machen konnte über das abscheuliche Verbrechen des Hochverrats.
In schwindelerregender Fahrt donnerte meine Kutsche an der königlichen Residenz vorbei in die Maximilianstraße und bis hinunter zur Isar, dann immer den Fluss entlang, bis schließlich die Reichenbachbrücke auftauchte. Noch immer war mir von Strelitz auf den Fersen. Ich bog links ab und jagte in die Au, in die dreckige Münchner Vorstadt. Die Häuser zu meiner Linken und Rechten waren nun schief und geduckt, die Gassen schmal und verwinkelt. Staunend beobachteten die Bettler und Tagelöhner, wie die zwei edlen Droschken durch ihr ärmliches Viertel ratterten. Einige feuerten uns an, offenbar in der Annahme, wir veranstalteten ein nicht genehmigtes Wagenrennen.
Plötzlich bog vor mir rechts eine Herde muhender Kühe und meckernder Ziegen aus einer Seitengasse. Ich ließ die Zügel schießen und schaffte es gerade noch, an den Tieren vorbeizukommen, bevor sie gemächlich über die Gasse trotteten. Hinter mir ertönte das laute Fluchen des Agenten. Doch es half ihm nichts, die Viecher liefen deshalb um keinen Deut schneller.
Als ich mich noch einmal umblickte, konnte ich den zeternden von Strelitz auf seinem Kutschbock sehen, der auf einige Kühe eindrosch und vergeblich versuchte, sich an den Tieren vorbeizudrängeln. Grinsend wandte ich mich wieder nach vorne. An der nächsten Wegbiegung bog ich schließlich scharf rechts ab, steuerte die Droschke hinter einen Heukarren und sprang schweißgebadet vom Bock. Wenigstens fürs Erste hatte ich meinen Widersacher abgehängt.
Und ich hatte tatsächlich erfahren, was Graf Dürckheim wohl vermutet hatte: Sie wollten den König für verrückt erklären! Für verrückt erklären und absetzen.
Ich wusste, dass ich Ludwig sofort von dieser Ungeheuerlichkeit in Kenntnis setzen musste, auch wenn die Gefahr bestand, dass ich dabei mein Leben verlor. Sicher würde von Strelitz sofort alle Hebel in Bewegung setzen, damit ich Schloss LINDERHOF, wo der König derzeit weilte, nie erreichen würde. Vielleicht warteten an den Toren der Stadt schon seine Schergen auf mich! Doch ich musste um jeden Preis zu Ludwig gelangen, meine LIEBE zum König war stärker als meine Angst. Sie war der Schlüssel, welcher der Welt die Pforte zur Wahrheit öffnen konnte.
Nur kurze Zeit später war ich in den engen Gassen der Au untergetaucht. Aber noch lange tönte mir das Krachen von von Strelitz’ Pistole in den Ohren. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass ich sie
Weitere Kostenlose Bücher