Die Ludwig-Verschwörung
haben. Warten Sie …« Steven schloss kurz die Augen, umsich zu konzentrieren. »Beim Vigenère-Verfahren wird für jeden zu verschlüsselnden Buchstaben ein anderer Verschiebungswert benutzt, der sich durch die jeweiligen Buchstaben des Schlüsselworts ergibt. Dabei werden Häufungen vermieden, die auf bestimmte Buchstaben schließen lassen.«
Sara stöhnte. »Das ist mir eindeutig zu hoch.«
»Im Grunde ist es ganz einfach. Sehen Sie her.« Steven brach einen Zweig von einem der Büsche neben dem Schloss ab und fing an, Buchstaben in den Kies zu zeichnen. Nach einiger Zeit standen zwei Wörter untereinander.
RAETSEL
LUDWIG
»Nehmen wir einmal an, unser Wort, das wir verschlüsseln wollen, heißt RAETSEL. Unser Schlüsselwort ist LUDWIG«, begann Steven. »L ist der 12. Buchstabe des Alphabets, also verschiebt sich das R aus RAETSEL um 12 Zeichen, und es wird …« Er überlegte eine Weile, bevor er einen weiteren Buchstaben niederschrieb. »… zu C. Der nächste Buchstabe in RAETSEL ist ein A, der wird zu einem U, das E zu einem H, und so weiter.« Er kritzelte noch einige Buchstaben in den Kies und betrachtete schließlich zufrieden sein Ergebnis.
RAETSEL
LUDWIG
CUHPAKW
»Sieht auf alle Fälle mindestens genauso verworren aus wie die Buchstabenfolgen in Marots Tagebuch«, sagte Sara nach einer Weile. »Sie könnten also recht haben. Fehlt uns nur noch das passende Schlüsselwort.«
»Vielleicht LIEBE?«, warf Steven nachdenklich ein.
Sara zuckte mit den Schultern. »Möglich. Aber ich finde, das ist zu offensichtlich. Es muss ein anderes Wort sein, eines, das Liebe … nun ja, eher symbolisiert.«
»Symbolisiert?«, fragte der Antiquar. »Was soll das sein? Da gibt es Tausende …«
Plötzlich hielt er abrupt inne. Sara sah ihn verwundert an.
»Was ist?«
»Ich glaube, ich kenne tatsächlich so ein Wort«, murmelte Steven und deutete auf den weißen Tempel auf der Anhöhe vor ihnen. »Haben Sie nicht gesagt, das hier sei der Venustempel? Außerdem gibt es hier die Venusgrotte, es wimmelt von Venusstatuen, und im Schloss selbst habe ich ein paar Venusgemälde gesehen.«
»Die Göttin der Liebe!«, stöhnte Sara. »Warum bin ich da nicht selbst draufgekommen?«
Steven schmunzelte. »Vielleicht weil Ihnen zu diesem Thema der Zugang fehlt?«
»Sehr witzig, Herr Lukas. Lassen Sie uns lieber schleunigst ausprobieren, ob wir mit dem Schlüsselwort VENUS richtig liegen. Wenn Sie recht haben, werde ich Ihnen mit einem Kuss hinterher das Gegenteil beweisen.«
»Ich glaube, man braucht für die Entschlüsselung ein sogenanntes Vigenère-Quadrat.« Steven versuchte sich zu erinnern. »Mit ein bisschen Hirnschmalz und einem gut gespitzten Bleistift können wir dann …«
»Sind Sie wahnsinnig?« Die Kunstdetektivin kicherte so laut, dass sich einige weiter entfernte Touristen nach ihnen umdrehten. »Wofür gibt es mittlerweile Computer-Programme? Ich bin sicher, wir werden im Internet irgendeine Seite finden, die das für uns erledigt.« Mit einem letzten Blick auf den Venustempel wandte sie sich Richtung Parkausgang. »Ich schlage vor, wir nehmen uns ein Zimmer drüben im Hotel und machen es uns in der Lobby gemütlich.«
»Und wenn die dort keinen Computer haben?«
Sara Lengfeld sah den Antiquar mit einer Mischung aus Mitleid und Entsetzen an. »Herr Lukas, Herr Lukas«, murmelte sie. »Manchmal glaube ich wirklich, Sie leben im falschen Jahrhundert.«
Das Hotel war ein wenig altertümlich und heruntergekommen, so als hätte es seine besten Zeiten längst hinter sich. Ein älterer Kellner schlich durch das spärlich besuchte Restaurant im Erdgeschoss, vergilbte Fotografien mit bayerischen Landschaften hingen im Treppenhaus, irgendwo spielte jemand auf einer Zither. Trotzdem verfügte die Lobby über einen Computer, auch wenn dieser nicht das neueste Modell war. Sara bestellte sich einen viel zu warmen Martini an der Hotelbar, dann begann sie auf die Tastatur einzuhacken, während Steven ihr neugierig zuschaute.
»Hier steht, dass Blaise de Vigenère ein französischer Diplomat im 16. Jahrhundert war, der mehrere Bücher über Kryptologie geschrieben hat«, sagte sie, während sie konzentriert auf den zerkratzten Bildschirm starrte. »Der nach ihm benannte Code galt lange Zeit als unentschlüsselbar, bis er schließlich zunächst von einem britischen Mathematiker und dann von einem preußischen Offizier 1863 geknackt wurde. Heutzutage ist das natürlich etwas einfacher. Voilà!« Sara
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