Die Ludwig-Verschwörung
Sara. »Eines der führenden IT-Unternehmen europaweit. Der Typ macht Milliardenumsätze, indem er seine Chips von kleinen flinken Chinesen zusammenbauen lässt und hier die Leute auf die Straße setzt. Bayern scheint es ja finanziell wirklich dreckig zu gehen, wenn es jetzt schon seine Schlossparks an skrupellose Industriemagnaten vermietet.«
Das Lächeln verschwand urplötzlich aus dem Gesicht der Kassiererin. »Wie ich bereits gesagt habe, ist der Park ohnehin ab morgen geschlossen. Für die Touristen entsteht also kein …«
»Jaja, schon gut.« Sara wand sich zum Ausgang. »Der König würde sich jedenfalls im Grabe umdrehen.«
Steven eilte ihr achselzuckend nach, und nebeneinander schritten sie an Buchen, Fichten und einem kleinen Weiher vorbei durch den Park. Gelegentlich kamen ihnen Touristen entgegen, die bereits ihren Heimweg antraten. Vom Schloss war noch immer nichts zu sehen.
»Zwei Stunden!«, zischte Sara. »Wie sollen wir in zwei Stunden irgendwas finden, was uns verrät, wie man diese Buchstabenfolgen knackt? Ich schwöre bei Gott, dass ich nie wieder irgendein Scheiß-Virenschutz- oder Buchführungsprogramm von Manstein Systems kaufe. Dreckskapitalist, mietet sich einfach den Park, und unsereins soll draußen bleiben!«
»Das bringt uns doch jetzt auch nicht weiter«, warf Steven beruhigend ein. »Ich schlage vor, wir teilen uns auf. Sie suchen den Park ab, und ich nehm mir das Schloss vor.«
»Da haben Sie eindeutig die bessere Wahl getroffen«, raunzte Sara und deutete nach vorne. »Im Gegensatz zum Park ist das Schloss nämlich recht übersichtlich.«
Sie kamen über eine Anhöhe und blickten nun in eine sanft geschwungene Talsenke. Links säumten grüne Laubengänge eine Kaskade, die sich weiter unten in einen Brunnen ergoss. Rechts stand auf einem Hügel ein weißer Tempel, unter dem sich Terrassengärten und ein Wasserbecken mit sprudelnder Fontäne befanden. In der Mitte des Tals thronte ein weißes Schloss, das aussah wie eine Miniaturausgabe von Versailles.
Steven blieb verblüfft stehen. Er hatte ein imposantes Bauwerk erwartet, etwas wie Neuschwanstein oder wenigstens das Münchner Schloss Nymphenburg, doch das hier war kein Schloss, sondern allenfalls ein Schlösschen. Eingebettet in den großen Park wirkte es eher wie ein possierliches Spielzeug.
Das Spielzeug eines Königs.
»Ich hatte mit etwas Größerem gerechnet«, murmelte er.
Sara lächelte ihn an. »Das sagen viele, wenn sie das erste Mal hierher kommen und Schloss Neuschwanstein im Kopf haben. Trotzdem hielt sich der König seine letzten Jahre meistens hier in Linderhof auf. Er war ein großer Verehrer von Ludwig XIV., wie Sie wissen.« Sie deutete auf die zwanzig Meter hohe Wasserfontäne. »Das hier ist Klein-Versailles samt barocker Gartenanlage. Im Park selbst finden sich dann Ludwigs Lieblingsspielplätze. Die Venusgrotte, ein marokkanisches Haus, eine Einsiedelei, dort oben der Venustempel und natürlich die Hundinghütte.«
»Hundinghütte?«, fragte Steven verwundert. »Davon habe ich noch nie gehört.«
»Kommt in Wagners ›Ring der Nibelungen‹ vor. Ludwig ließ sie nach den Beschreibungen des Komponisten bauen. So eine Art germanisches Blockhaus. Wenn Ludwig in Stimmung war, mussten seine Lakaien in Fellgewändern rumhüpfen, Met aus Hörnern trinken und Ringelpiez spielen.«
Steven runzelte die Stirn. »Und Sie bleiben dabei, dass der König keinen Stich hatte?«
»Haben Sie keine Träume, Herr Lukas?«, fragte Sara lachend. »Ludwig hatte eben das Geld, die seinen zu verwirklichen. Er wollte seiner Welt entfliehen, wie viele von uns auch.« Sie deutete verstohlen auf ein paar Touristen in Shorts und Trainingsanzügen aus Ballonseide hinter ihnen. »Glauben Sie mir, hätte jeder von uns genügend Kohle für seine Träume, wäre die Welt ein einziger Funpark aus Raumschiffen, Gameshows, Gotchahallen und Bordellen. Da sind mir die Phantastereien eines romantischen Königs lieber.«
Vor dem Schloss hatten sich ein paar Dutzend Menschen versammelt, die auf die nächste Führung warteten. Einige rauchten gelangweilt, andere knipsten sich selbst und ihre Familien vor jedem einzelnen Detail des Gebäudes. Irgendwo greinte ein Baby.
»Was ist mit diesem Baum da?«, wollte Steven wissen. Er zeigte auf eine unscheinbare Linde, die rechts hinter dem Wasserbecken stand und als einziges Detail nicht in die perfekte Symmetrie des Schlossgartens passen wollte.
Sara zuckte mit den Schultern und warf einen
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