Die Lüge im Bett
Kopf, tausend Gedanken schießen ihr durchs Hirn. Sie heißen aber alle nur: Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich. »Ähm«, sammelt sie sich und legt dann los. Sie schlägt vor, nicht mehr auf Bernd zu hören, sondern selbst zu recherchieren und auf eigene Faust Drehorte zu suchen, Interviewtermine zu machen.
Leo stimmt zu, und Nic hat die Idee einer nächtlichen Taxifahrt in die Armenviertel. Wenn schon Recherche, dann bitte nicht am grünen Tisch, sondern mitten vor Ort. Die Begeisterung für den neuen Plan erfaßt alle drei, und sie wollen ihn noch am selben Tag in die Tat umsetzen. Nina ist begeistert. Und Leo meint, das sei schon deshalb gut, weil er dann am Nachmittag endlich mal mit seinen Wanzen kuscheln könnte.
Zum verabredeten Zeitpunkt am frühen Abend ist dann überraschend noch eine vierte Person mit von der Partie: Suzanna. Sie könne nicht nur als Dolmetscherin nützlich sein, sondern auch, weil sie sich schließlich als einzige in Rio auskenne, erklärt Nic und weist Nina den Beifahrersitz zu, eine Ehre, die Nina nicht zu schätzen weiß, denn auf diese Weise sitzt die dunkelhäutige Schönheit in ihrem atemberaubenden kurzen Kleid gut gelaunt zwischen Leo und Nic auf der Rückbank.
»Wie seid ihr jetzt auf die Idee gekommen?« fragt Nina säuerlich.
»Bernd war vorhin kurz im Hotel, und ich habe ihm von unserem Vorhaben erzählt. Er hat uns netterweise Suzannas Begleitung angeboten.« Kleiner Seitenblick zu Suzanna, der Nina nicht entgeht.
Klar, toller Deal, denkt sie. Da kennt er jeden Schritt, den wir tun. So blöd kann Nic doch gar nicht sein. »Und wo ist unser Korrespondent jetzt?« fragt sie.
»Soviel ich weiß, auf einer Party«, antwortet Suzanna beschwingt und zeigt lachend ihre weißen Zähne.
Wahrscheinlich auf einer Party der High-Society, überlegt Nina und macht sich ihren Reim darauf, warum ihr Kontaktmann sie mit Leuten vom Fremdenverkehrsamt abspeisen will. Als nächsten höchst aussagekräftigen Interviewpartner hat er wahrscheinlich Suzannas Papi, den Herrn Diplomaten, in petto.
Es grummelt und arbeitet in ihr, und sie kann sich nur mit Mühe auf ihre Aufgabe konzentrieren. Der Taxifahrer macht es ihr nicht leichter. Klein und dick klemmt er unter seinem Lenkrad und schmatzt unentwegt und unüberhörbar laut auf einem Kaugummi herum. Am liebsten hätte sie den Wagen gewechselt und wäre allein weitergefahren. Sollen sie mit diesem wiederkäuenden Taxivieh und ihrer so bezaubernden Zimtzicke doch glücklich werden!
Plötzlich aber ändert sich die Umgebung, der Taxifahrer kaut weniger hektisch, eher vorsichtig, langsam, angespannt. Nina schaut aufmerksam hinaus. Die Straßen sind dunkel, eng und bestehen nur aus Schlaglöchern. Der Müll stapelt sich am Straßenrand.
Auch Nic sieht gespannt aus dem Wagenfenster: »Vielleicht sollte man versuchen, von dieser Gegend und der Stimmung hier etwas einzufangen. Kannst du dem Taxifahrer sagen, daß er hier anhalten soll, Suzanna?«
»Das wird er nicht tun!« Ihre volle, warme Stimme klingt entschieden. »Er hängt an seinem Leben. Und an seinem Taxi!«
Nina schaut hinaus. »Aber da ist doch gar nichts!«
»Hat er deshalb diese komische Zentralverriegelung betätigt?« fragt Leo. Das ist Nina auch aufgefallen. Ein Netz von Drähten verbindet die Knöpfe an den Innenseiten der Türen seines uralten Mercedes. Vorhin, als sie die breiten, beleuchteten Avenidas verließen und an der ersten Ampel in einem menschenleeren Viertel standen, zog er kurz und kräftig an einem der Verbindungskabel, und alle Verriegelungen schnappten zu.
»Genau deshalb. Damit niemand die Türen öffnen kann, wenn wir anhalten müssen. Es ist einfach zu gefährlich hier«, bestätigt Suzanna Leo.
»Wieso nehme ich meine Kamera dann überhaupt mit?« mault er.
»Du kommst schon noch zum Filmen. Der Taxifahrer weiß, was wir suchen.« Sie zögert kurz. »Er wird dafür allerdings ein kleines Dankeschön erwarten.«
Das ist an Nina gerichtet, denn sie verwaltet die Kasse. Klar, war abzusehen, denkt sie. Aber wieviel ist ein kleines Dankeschön? Sie wird erst einmal abwarten, was passiert.
An einem großen Platz voller vergangener alter Pracht hält der Fahrer an, erklärt auf englisch, daß er gleich zurück sei, und steigt aus. Nina sieht ihm nach und betrachtet dann die Umgebung genauer. Abgewetzte Pflastersteine glänzen im Licht einer einsamen Straßenlaterne, die aussieht wie ein Relikt aus den längst vergangenen Jahren des
Weitere Kostenlose Bücher