Die Lüge im Bett
Kaiserreichs. Und auch die Häuser wirken wie eine steinerne Erinnerung an die monumentale portugiesische Baukunst alter Zeiten. Tragisch stolz stehen nur die Mauern noch, aber alles Leben ist verschwunden. Die leeren Fenster gähnen wie große Höhlen aus den einstmals prächtigen Fassaden, die Erker sind heruntergebrochen.
»Das ist bizarr! Das muß ich aufnehmen!« Leo kurbelt ungeduldig am Fenster. Aber es läßt sich nicht öffnen.
»Warte einen Augenblick. Der Fahrer kommt gleich zurück!« Suzanna legt ihre Hand auf Leos Arm.
»Und dann fährt er weiter, und alles ist zu spät!« Er verzieht ärgerlich das Gesicht.
Wenn Sven wüßte, daß sein Angstgegner Leo ein paar graue Mauerreste dieser zauberhaften Hand vorzieht.
Der Fahrer kommt wieder, wechselt einige hastige Sätze mit Suzanna.
»Okay«, sagt sie, »Pedro führt uns zu ihnen. Drei Jungen werden mit euch reden. Gegen fünfzig Reals. Bitte keine Tricks, ihr setzt damit ihr und unser Leben aufs Spiel!«
Nic und Leo steigen zuerst aus dem Auto. Nina ist mißtrauisch. Eine Diplomatentochter kennt Jugendliche aus dem Untergrund? Wenn das mal kein Schauspiel ist.
Trotz ihrer Bedenken schließt sich Nina aber der Gruppe an. Von hinten wirft sie einen kurzen Blick auf Suzannas schlanke Figur und ihr knappes gelbes Leinenkleid. Nic spricht mit ihr und legt ihr dabei kurz die Hand auf den Rücken. Es versetzt Nina einen Stich. Aber ganz objektiv muß sie sich eingestehen, daß die beiden ein wunderschönes Paar sind. Aber sie will nicht objektiv sein. Sie will Suzanna auf der Stelle Cellulitis, Hängebusen und eine penetrante Ausdünstung anhexen.
Sie schleichen in einen der düsteren Hauseingänge. Es riecht nach Exkrementen. Pedro, der Fahrer, geht voraus, durch einige dunkle Zimmer hindurch. Vor einem tiefen Riß in einer Wand bleibt er stehen. Licht schimmert zu ihnen hindurch. Pedro bedeutet Suzanna, mit den anderen weiterzugehen. Er würde warten.
Ninas Herz klopft. Wenn ihnen hier etwas geschieht, wird keiner je auf die Idee kommen, sie in dieser Ruine zu suchen. Aber ihre journalistische Neugier ist stärker als ihre Angst. Sie steigt als erste durch den Riß und kommt in einen angrenzenden, von einer abgedunkelten Gaslampe erleuchteten Innenhof. Nic drängt nach, sie tritt zur Seite, macht den anderen Platz. Ruhig bleiben sie stehen, einer neben dem anderen. Aber der Hof scheint menschenleer zu sein. Sie sind völlig allein. Einige Kisten stehen um die Gaslampe herum, Gras wächst in den Steinritzen, sogar Büsche gibt es hier. In einer überdachten Ecke liegen stapelweise Kartons. Ratlos schaut Nina Nic an. Der legt den Zeigefinger an seine Lippen. Plötzlich taucht ein Schatten auf. Neben einer der Säulen, Nina genau gegenüber. Sie kneift ein Auge zu. Täuscht sie sich, oder ist es tatsächlich ein Mensch? Nichts rührt sich. Eine Sinnestäuschung?
Ohne Vorwarnung stehen sie schlagartig im grellen Scheinwerferlicht. Drei starke Taschenlampen sind auf Nina und ihre Begleiter gerichtet, geblendet wendet sie den Kopf ab. Dann ist es wieder dunkel. Sie hört eine heisere Stimme: »Okay«, dann folgt ein Wortschwall, von dem sie nichts versteht.
»Wir können uns auf die Kisten dort setzen. Die Kamera soll noch nicht laufen, sie wollen sich zuerst mit euch unterhalten!«
Das glaubt ihr keiner, denkt Nina. Was Leo wohl meint? Sie schaut besorgt zu ihm hinüber. Ob er sich an die Anweisung hält?
Sie setzen sich auf die wackeligen Kisten. Dann lösen sich drei Gestalten aus dem Schatten der Säulen. Also doch keine Sinnestäuschung. Die drei setzen sich ihnen gegenüber hin, die großen, schwarzen Taschenlampen wie Schlagstöcke auf den Oberschenkeln. Sie sind jung. Sehr jung sogar. Einer sieht höchstens aus wie acht, denkt Nina. Den Ältesten schätzt sie auf achtzehn. Ihre Gesichter sind dunkel. Sie wirken wie geschwärzt. Die weißen Augen und die Zähne leuchten. Es hat etwas Unwirkliches, wie sie da kauern. Wie Tiere auf dem Sprung. Wachsam, alle Glieder gespannt. Bereit zum Angriff. Oder zur Flucht.
Suzanna muß übersetzen. Was sie wollen, für wen sie arbeiten, mit wem noch gedreht werden wird, wieviel Sendezeit für sie zur Verfügung steht. Profis, denkt Nina erstaunt. Die sitzen nicht zum erstenmal vor einer Kamera. Nina gibt Auskunft. Sie beraten sich kurz, dann nickt der Älteste mit dem Kopf und krächzt etwas. Anscheinend haben sie die Prüfung bestanden.
»Er möchte jetzt das Geld«, übersetzt Suzanna.
Ach so. Vielleicht
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