Die Lüge im Bett
wollen sie ja nur die Kohle und schicken uns dann wieder nach Hause. Nina greift trotzdem nach ihrem Geld.
Sie will aufstehen, aber ihr Gegenüber bedeutet ihr sitzen zu bleiben. Abwartend legt sie sich das Geld auf den Schoß. Von hinten greift eine Hand danach. Zu Tode erschrocken fährt Nina herum. Hinter ihnen stehen gut zwanzig dunkel gekleidete Gestalten. Großer Gott, sie hat sie nicht gehört. Und nicht gespürt. Nichts!
Auch die anderen sind sichtlich beunruhigt. »Was wollen die?« flüstert Nic.
Leo schweigt und hält seine Kamera fest im Griff, bereit zur Aufnahme.
Der Anführer gibt ein Zeichen.
Jetzt massakrieren sie uns, denkt Nina.
»Ihr könnt anfangen«, sagt Suzanna.
Leo springt sofort auf, drückt Nina die Interviewlampe in die Hand. »Der Akku dürfte ausreichen!«
Wie tröstlich. Aber sie kann nicht Beleuchterin spielen, sie muß die drei interviewen. »Machst du das?« fragt sie Nic.
Er nickt und bekommt sofort scharfe Anweisungen, was er beleuchten darf und was nicht. Nur auf den Körper halten, nicht aufs Gesicht. Nina ist alles recht. Hauptsache, sie erzählen ihre ganze Geschichte.
Leo drückt Nina das Mikrophon in die Hand. Jetzt könnten sie Tom gebrauchen. Hoffentlich wird der Ton über die Kamera etwas.
»Kamera läuft!«
Was sie jetzt zu sehen bekommt, läßt ihr den Atem stocken. Der Kleine dreht sich um und hebt sein schwarzes T-Shirt hoch. Der Rücken ist mit Blutergüssen und Striemen übersät.
»Großer Gott!« entfährt es Nina. Wer kann so etwas tun?
Ihr ist übel, und die Erregung läßt ihre Stimme zittern.
Sie fragt, Suzanna übersetzt. Über eine halbe Stunde schildern die drei Jungen ihr Leben, erzählen von Verfolgung, Schlägen, Folter, beschreiben Todesschwadronen, die nachts die Straßen von Rio unsicher machen, beklagen verschwundene und tote Freunde.
»Sag ihnen, ich werde das genau so bringen. Ich werde versuchen, ein Ohr für ihre Situation, für die Brutalität dieses Staates zu wecken. Ich werde mich für sie einsetzen!«
Suzanna übersetzt, und die Jungs nicken ihr zu. Der Akku an Leos Kamera beginnt zu blinken, gerade noch rechtzeitig, Nina atmet auf. Akku- und Bänderwechsel wirken in solchen Situationen immer störend. Der Faden reißt, Dinge bleiben ungesagt. Sie steht auf. Suzanna ebenfalls.
Ein Name ist gefallen. Senhor Alves, die graue Eminenz von Rio. Während der Rückfahrt überlegt Nina, wie sie an diesen Senhor Alves herankommen könnte. Sie dreht sich zu den beiden Männern um und erläutert ihnen ihren Plan. Suzanna sagt nichts dazu, und auch Nic und Leo zeigen wenig Interesse.
»Wir haben einen anderen Auftrag, und außerdem waren an diesem Thema schon ganz andere Teams dran«, wehrt Nic ab.
»Du glaubst doch nicht, daß man für eine knappe Woche hierherfliegen und einen Sensationsbericht drehen kann, ohne sich nur im mindesten auszukennen?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, möchte Nic mitten in der Stadt aussteigen. Es ist weit nach Mitternacht, und Leo überlegt ganz offensichtlich, ob er sich ihm anschließen soll. Nina ist völlig irritiert, zumal sie ganz offensichtlich von diesem »Männertrip« ausgeschlossen ist. »Wir sehen uns morgen«, nickt Nic den beiden Frauen zu.
Suzanna lacht verständnisvoll: »Wer sich hier nicht nachts vergnügt, hat etwas verpaßt.«
Ninas Phantasie geht mit ihr durch und hält sie die halbe Nacht wach. Sie wälzt sich in ihrem Bett hin und her. Trotz des geöffneten Fensters ist es heiß und stickig, und sie findet einfach keinen Schlaf. Sie schaut auf die Uhr: vier Uhr. Ob Nic wohl schon da ist? Was er wohl in solchen Nächten anstellt? Warum kann er es nicht mit ihr anstellen! Sie versucht, ihn sich nackt vorzustellen, und streichelt sich dabei über den Körper. Ihre Haut ist so zart und glatt, eine Schande, daß sie hier allein liegt. Sie wird aber nur noch wacher davon, denn sie sieht ihn in eindeutigen Positionen mit anderen Frauen vor sich. Alle sehen sie aus wie Suzanna, langgliedrig, verführerisch, begehrenswert.
Nina legt die Hände wieder auf die Decke und versucht es mit einem alten Trick: Sie packt alle ihre Gedanken und Gefühle in eine Schublade und drückt diese langsam und konzentriert zu. Vor morgen früh wird sie nicht mehr geöffnet. Weg! Das Hirn ist leer! Gut so! Kurz danach schläft sie ein.
Gut gelaunt und in blendender Verfassung erscheint Nic am nächsten Tag zum Frühstück. Nina beäugt ihn argwöhnisch, spürt aber gleichzeitig, wie ihr Gefühl für ihn
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