Die Lüge im Bett
bekommt jetzt eine ganz andere Dimension. Sie betrachtet widerwillig das kunstvoll verpackte Geschenk. Verdammt noch mal, denkt sie, wie soll sie nur aus dieser Situation herauskommen. Ihn doch mit ihren Gefühlen konfrontieren? Schluß machen? Und dann? Ausziehen? Eigene Wohnung? Das kann sie sich nicht leisten.
Vernunft steht gegen Gefühl.
Wie im Mittelalter schimpft sie innerlich und stößt mit Sven an.
Am nächsten Morgen fahren sie gemeinsam zum Sender. Nina betrachtet die weihnachtlichen Auslagen in den Fenstern und denkt dabei sehnsüchtig an Brasilien, Sven erklärt plötzlich:
»Ich habe dir verziehen!«
»Wie?« Nina fällt aus allen Wolken und schaut ihn erstaunt an. Was sollte er ihr verzeihen?!
»Ich habe die Schramme im Badezimmer natürlich entdeckt. Zum Glück warst du gerade nicht da. Und jetzt habe ich mich schon wieder abgeregt.«
Nina schluckt. Was hat sie bei Senhora Tavares über die Schramme gedacht? »Danke!« sagt sie leise. Es ist nicht ihr Waschbecken, das sie beschädigt hat, es ist nicht ihr Geld. Sie hat kein Recht, die Schramme als lächerlich abzutun. Auch nicht im Vergleich zu dem Elend in anderen Ländern. Sie muß selbst etwas tun, nicht andere verurteilen. Nina fühlt sich schlecht und seufzt.
Sven parkt gerade ein. »Gibt's was?« fragt er. Sie betrachtet sein Gesicht. Wenn er weniger schön wäre und dafür mehr Sinn für die Ungerechtigkeiten dieser Welt hätte, wäre alles ein wenig leichter. Ob Nic da besser ist?
Nina schüttelt den Kopf. »Nichts Bestimmtes, ich würde heute gern das Material sichten!«
»Da bin ich gespannt!«
Sie gehen nebeneinander auf den Eingang des Senders zu. Nina überlegt, wie er das gemeint hat. Will er etwa zuschauen? Im Schneideraum hinter ihr sitzen? Das hätte ihr gerade noch gefehlt.
In der Redaktion stürzen sich alle sofort auf sie. Sarah vorneweg: »Na, war's schön?«
»Schön, daß es dich auch noch gibt!« Nina weiß nicht, ob sie sie umarmen oder ihr eine Ohrfeige geben soll.
»Da hast du recht, danke, ich dachte, ich sterbe!«
Sabrina und Elke grinsen vielsagend. »Sie wäre wegen des Drehs fast gestorben«, flüstert Sabrina, »nicht wegen der Windpocken. Sie hatte einfach zuwenig vorbereitet. Und deswegen Schiß!«
»Psst«, macht Sarah, »wir wollten es doch nicht an die große Glocke hängen. Ich hab's ja zugegeben, und ich gebe dir dafür einen aus!«
»Brauchst du nicht«, winkt Elke ab, »Nina sieht gut aus, richtig erholt! Von der Sonne verwöhnt!«
Sabrina streicht ihr leicht mit dem Zeigefinger über die Wange und kontrolliert ihn dann kritisch: »Alles echt?«
Nina muß lachen. »Suchst du Staub oder Sonnenreste?«
»Sind die Brasilianer so heißblütig, wie man sagt?« will Sabrina wissen.
Brasilianer?! Sie hat keinen gesehen!
Die Tür geht auf, Sven kommt herein. »Mir hat keiner gefallen«, sagt Nina schnell, und die anderen tauschen bedeutungsvolle Blicke.
Nach der Morgenkonferenz zieht sich Nina mit den Bändern aus Brasilien in einen der Sichtungsräume zurück. Sie legt ihre Lieblingsaufnahme ein, das Interview mit Tanja Tavares. Entspannt setzt Nina sich in ihrem Stuhl zurück, legt die Füße auf den Tisch, will das Ganze in Ruhe betrachten.
Kaum hat Tanja Tavares den ersten Satz gesprochen, steht Sven in der Tür. »Nun laß mal sehen, was du so hast.« Er tritt hinter ihren Stuhl. Ninas Magen zieht sich zusammen. Hätte sie gewußt, daß er kommt, hätte sie die Strandaufnahmen eingelegt. Leben, Menschen, Atmosphäre, nacktes Fleisch. Sven lauscht regungslos. Dann sagt er leise: »Das ist nicht dein Ernst!«
Nina fühlt sich herausgefordert: »Wieso? Das gehört dazu! Das ist die wirkliche Jugend in Brasilien, interessanter als Sonnenschein, Beach und Axe-Music! Weißt du, daß in Brasilien im Schnitt pro Jahr über 400 Jugendliche und Kinder umgebracht werden und daß ...?«
»Das will aber keiner sehen!«
»Woher willst du das denn wissen?«
»Es war ein Fehler, dich zu schicken. Ich habe ja gleich gesagt, Sarah hat einen besseren Blick für so was!«
Die Tränen schießen Nina in die Augen. Sie weiß nicht, ob es die Ungerechtigkeit ist, die Demütigung, das Versagen, das er ihr unterstellt, sie weiß nur, daß er ihre Enttäuschung nicht sehen darf. Sie beugt sich schnell zu dem Abspielgerät vor, wechselt die Bänder und legt die Strandszenen ein, die Leo eingefangen hat.
»Das ist schon besser«, urteilt Sven nach einer Weile. »Bis auf diesen widerlichen deutschen Holzbock
Weitere Kostenlose Bücher