Die Lüge im Bett
da. Soll das die deutschen Spanner dokumentieren, oder ist es eine Geschmacksverfehlung deines hoch verehrten Kameramanns?«
Nina antwortet nicht darauf. Sie schaut auf ihren neuen Ring, dreht ihn hin und her und denkt voller Zorn an die vergangene Nacht.
Es wächst nicht nur ihr Groll gegen Sven, sondern auch gegen sich selbst, weil sie keinen Entschluß fassen kann, sich feige fühlt. Am liebsten hätte sie den Raum verlassen. Aber das hätte nur zur Folge, daß Sarah den Auftrag bekäme, das »Beste« aus dem Material zu machen, und sie selbst könnte Sven deswegen trotzdem nicht ausweichen. Spätestens im Bett wären sie wieder allein.
Liebe am Arbeitsplatz. Sie flucht innerlich. Was für ein Horror!
»Gib das mal her«, sagt Sven da knapp, nimmt die Fernbedienung vom Tisch und schaltet auf Fast Forward.
Nina steht auf: »Willst du dich nicht vielleicht dazu auch setzen?« Sie hat es sarkastisch gemeint, eine Spitze darauf, daß er ihr alles aus der Hand nimmt.
»Ja, danke.« Ohne einen weiteren Gedanken an sie zu verschwenden, setzt er sich und spult ein Band nach dem anderen ab.
Egomane, unsensibler Klotz, ein Charakterschwein mit geringeltem Schwänzchen. Ekelhaft!
Bei den Nachtaufnahmen mit den Straßenkindern spult er zurück, schaut sie sich aufmerksam an. »Das sind klasse Aufnahmen, sehr dichte Atmosphäre! Der Rücken ist auch gut! Das zieht!«
»Der Rücken ist nicht gut, sondern eine Sauerei!« Nina steht hinter ihm und hat gute Lust, ihre Hände um seinen Hals zu legen.
»Schon gut, schon gut. Die Bilder sind jedenfalls gut!«
Schön langsam zudrücken, bis er grün im Gesicht wird.
»Die Sequenz nimmst du mit! Da hat der Kameramann gespurt. Wenn ich auch sonst nicht viel von ihm halte!« Sven spult weiter.
Eitles Geschwätz, denkt Nina. Aufnahmen! Bilder! Er hat überhaupt nicht zugehört, was diese Jungs zu sagen haben!
»Viel zuviel sozialkritisches Zeug«, schimpft er zum Schluß.
»Da meiste davon kannst du weglassen. Wen interessiert schon, was die alte Tussi da zu sagen hat. Du nimmst diese Typen da, im Dunkeln, vor allem den mit dem Rücken, und baust die anderen Sachen drum herum. Dazu die Tänzer von dieser Schule, den Hubschrauberflug - hat wahrscheinlich ein Vermögen gekostet - und viel Haut. Bis auf diese Unfigur natürlich!« Damit ist er raus aus dem Sichtungsraum.
Nina setzt sich wieder in den Stuhl und hat keine Lust mehr. Soll sie Tom anrufen und ihm sagen, daß er eine Unfigur ist? Vielleicht kann sie dann mal wieder herzhaft lachen, so wie in Rio. Ach, Rio! Sie legt die Füße auf den Tisch, lehnt sich zurück und hängt ihren Tagträumen nach.
Abends fährt Nina zu ihrer Mutter. Sie hat Svens Wagen dabei, er arbeitet noch länger, sie soll ihn später abholen. Es ist Mittwoch, Stammtischtag, keine Gefahr also, daß ihr Vater das Frauengespräch stört.
Sie unterhalten sich über Brasilien, Nina erzählt alles. Schildert auch ihren Unmut über Sven, ausführlich und in allen Farben.
Ihre Mutter bemerkt Ninas neuen Ring. »Zeig doch mal her! Sehr geschmackvoll, sicher sehr teuer!«
Nina zieht ihn vom Finger. Er ist breit und aus Platin, verziert mit einem einzelnen, stattlichen Brillanten. »Mir wäre es lieber, Sven würde etwas mehr auf meiner Wellenlänge schwimmen, anstatt mir solche Geschenke zu machen!«
»Man kann nicht alles haben, Kind!« Ilse Wessel streift den Ring über ihren Ringfinger. Sie hat schlanke, gepflegte Hände. Der Ring ist ihr zu groß. Am Mittelfinger paßt er. »Wo trägst du ihn? Rechts oder links?« will sie wissen.
Nina schaut auf ihre Hände. »Links natürlich!«
»Sieht aus wie ein Verlobungsring!« sagt ihre Mutter langsam, streckt die Hand von sich weg, begutachtet den Ring wohlwollend an ihrem Finger.
»Um Gottes willen, Mutti, dann kannst du ihn lieber behalten!«
Ihre Mutter zieht den Ring wieder ab und legt ihn vorsichtig zwischen sich und Nina mitten auf den Tisch. Dort funkelt der Stein einsam im Licht, blitzt in allen Farben. Ilse Wessel betrachtet ihn eine Weile, dann schaut sie Nina direkt in die Augen.
»Was ist eigentlich los, Nina?« fragt sie langsam. »Sven hat dir einen wunderschönen Ring geschenkt, und du freust dich noch nicht einmal darüber. Aber du trägst ihn, und du fährst seinen Wagen. Auf der anderen Seite tust du so, als hätte Sven die Pest. So geht das doch nicht, Nina!«
»Ja, danke, da spricht mein zweites Gewissen.« Nina fühlt sich unwohl, aber eigentlich hat sie auf diese Frage
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