Die Lüge im Bett
hat. Es ist Viertel nach zehn. »Ein Ei? Ja, gern!« Sie schaut ihrer Mutter zu, die Wasser aufsetzt. Es geht immer alles so lautlos bei ihr, so schnell und doch gewissenhaft. Im Vergleich zu ihrer Mutter ist sie im Haushalt völlig ungeschickt. Bei zwei Gästen hört ihr Organisationstalent in der Küche schon auf, bei dreien achtet sie darauf, daß zumindest einer dabei ist, der sich mit so etwas auskennt.
Ihre Mutter schenkt ihnen beiden Kaffee ein, stellt Nina knusprige Frühstücksbrötchen hin und setzt sich auf ihren Stuhl. »Wir waren in einer Komödie! Es war hinreißend. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letztemal so sehr gelacht habe!«
»Hier? In dem Kaff?«
»Wenn ich's dir sage!«
Nina greift nach einem Brötchen und wirft ihrer Mutter einen mißtrauischen Blick zu. Was kann das schon gewesen sein!
Aber ihre Mutter läßt sich nicht beirren. Sie ist glänzend aufgelegt, anscheinend klingt der Abend noch nach. Sie rührt in ihrem Kaffee und lacht laut auf: »Es waren Szenen, einfach köstlich! Du mußt dir vorstellen, daß das ganze Stück von alten Frauen bestritten wird. Drei alte Frauen, die aus ihrem Leben erzählen und sich gegenseitig Szenen daraus vorspielen.«
Wieder lacht sie. »Also, die Golden Girls sind ein Abklatsch dagegen!«
O Gott, denkt Nina, was hat ihre Mutter nur für einen Provinzgeschmack! Das darf sie keinem erzählen, das ist ja direkt peinlich! Sie schneidet schweigend ihr Brötchen auf und seufzt.
»Wenn du heute abend noch da bist, mußt du unbedingt hin. Ich lade dich ein. Ich würde sogar noch mal mitgehen!«
»Nein, danke, Mutti, wirklich nicht!«
Nina verkneift sich jeden Kommentar zu dem Kulturgeschmack ihrer Mutter und streicht selbstgemachtes Himbeergelee über die Butter. »Wo ist eigentlich Vati?« lenkt sie ab, denn sie möchte nicht, daß sich ihre Mutter noch mehr Blößen vor ihr gibt.
»Er wäscht den Wagen!« Ach ja, damit ist die Welt wieder in Ordnung. Es ist Samstag, Badetag!
»Was machen Nicole und die Kleinen?« Nicole ist ihre drei Jahre ältere Schwester. Die hat den richtigen Weg gewählt: Abi, Studium, Diplom, sich in einen reichen Börsenmakler verliebt, geheiratet, Kinder bekommen. Alles in einem Rutsch, zügig, problemlos.
Wenn sie es sich richtig überlegt, hat sie sie eigentlich noch nie richtig leiden können. Immer war sie die Große, das Vorbild, die Schlanke, die Hübsche und jetzt ist sie auch noch die Verheiratete.
Eigentlich will sie überhaupt nicht wissen, wie es ihr geht.
»Es geht ihr gut! Sehr gut sogar!«
Na bitte, dachte sie es sich doch! »Na prima!«
»Magst du noch eine Tasse Kaffee?« Ihre Mutter steht auf und zieht im Vorbeigehen die Gardinen vor das Küchenfenster. Das macht sie auch schon seit Jahren so. Als ob es hier etwas zu sehen gäbe!
»Ich glaube, ich fahre dann besser wieder«, sagt Nina und schiebt die leere Tasse über den Tisch.
»Ganz, wie du willst«, ihre Mutter stellt die Kaffeekanne auf den Tisch und fischt das Ei aus dem kochenden Wasser. Aber Nina beschleicht das ungewohnte Gefühl, daß ihre Mutter über ihre Ankündigung überhaupt nicht unglücklich ist. Sie fragt noch nicht einmal, warum sie gestern überhaupt gekommen ist.
»Habt ihr heute noch etwas vor?« fragt Nina argwöhnisch.
Ihre Mutter zuckt mit den Achseln und reicht ihr das Ei.
»Wir bekommen morgen abend Besuch, sonst nichts!«
»Zum Essen?« Nina attackiert ihr Ei mit dem Löffel.
»Ja, ich gehe gleich noch einkaufen!« Das war's, deshalb wollte sie sie loshaben. Die Zeit drängt, die Geschäfte schließen trotz neuer Ladenschlußgesetze um eins. Wer zu spät kommt, den bestraft der leere Kühlschrank. Nina denkt an Nic. Mit wem er wohl gerade frühstückt? Sie sieht ihn in einem breiten Himmelbett liegen, Laura Ashley pur, neben sich Nadine mit langen, blonden Haaren und vor sich ein großes Frühstückstablett mit Ingwermarmelade und Omelett. Mist, verdammter!
»Wie bitte?«
Hat sie das etwa laut gesagt? Nina blickt auf. Ihre Mutter räumt bereits die Geschirrspülmaschine ein. »Nichts, Mutti. Danke für die Übernachtung und das Frühstück. Das hab ich jetzt gebraucht!«
»Laß uns doch heute abend zusammen in die Vorstellung gehen, oder komm morgen abend zum Essen. Es würde dir guttun, glaub mir!« Ihre Mutter hat wirklich keine Ahnung von dem, was ihr guttun könnte. Es liegen eben doch nicht nur fast zwei Generationen, sondern ganze Welten zwischen ihnen.
»Nein, danke, Mutti, lieb von dir, aber Nic
Weitere Kostenlose Bücher