Die Lüge im Bett
die Treppen hinuntergeht und ein seltsames Gefühl in der Magengrube verspürt. Wirf den Schlüssel in den Briefkasten und tschüß! Das Ende einer großen Liebe! Sag mir nur noch schnell deine Haftpflichtnummer und überweise die anteilige Versicherungssumme für mein Auto!
Unten läßt sie die Tür hinter sich ins Schloß fallen. Es pfeift ein kalter Wind, der Himmel ist grau, es sieht wieder nach Schnee aus. Nina bleibt stehen, klappt den Jackenkragen hoch und sieht sich um. Die Straße ist menschenleer, die Häuser stehen hoch und abweisend vor ihr. Aus den meisten Fenstern scheint Licht. Überall ist Leben, nur sie ist einsam. Nina seufzt. So muß sich ein Obdachloser vorkommen, der nicht weiß wohin.
Dann gibt Nina sich einen Ruck.
Ihren Wagen hat sie in einer Seitenstraße geparkt. So arm ist sie gar nicht dran. Sie hat ein eigenes Auto, und das Auto hat eine Heizung, so muß sie wenigstens nicht erfrieren. Trotzdem braucht sie eine Unterstellmöglichkeit für ihre Kisten und Koffer.
Ihre Mutter will sie nicht fragen, das wäre zu jämmerlich. Ihre Kolleginnen auch nicht, die würden sich hinter ihrem Rücken kranklachen. Sie fährt zur Post und ruft ihre Freundin in Bad Tölz an.
»Was? Verliebt? Na klasse! Ich trenne mich gerade wieder!«
Karins glockenhelles Lachen schallt durch den Hörer.
»Du?« Nina ist perplex. Ihr Max war doch der Mann fürs Leben?
»Na ja, es zeigt sich eben doch, daß eine Frau zwei Männer braucht. Einen fürs Leben und einen fürs Bett. Max war was fürs Bett, das gebe ich zu, aber fürs Leben taugt er nicht. Er selbst war da anderer Ansicht, konnte nicht akzeptieren, daß ich nebenher auch noch einen fürs Leben hatte. Valentin heißt der übrigens! Jetzt fehlt wieder einer!«
Nina ist sprachlos. Wo hatte sie denn das schon einmal gehört? So groß scheinen die Generationsunterschiede doch nicht zu sein, nur die Auswege aus bestimmten Problemen hatten sich offenbar geändert. Hat ihre Mutter vielleicht auch irgendwo einen Max?
»Ich dachte, du bist so wunschlos glücklich?«
»War ich auch, nachdem Valentin dazugekommen war. Aber jetzt ist es wieder etwas unbefriedigend!«
»Na, dieses Problem habe ich wenigstens nicht. Nic ist etwas fürs Leben und fürs Bett. Alles vibriert, sobald er in meiner Nähe ist - auch wenn sich's jetzt blöd anhört. Und er hat Sinn für die Dinge, die mich auch beschäftigen. Wir verbringen Weihnachten zusammen, stell dir vor! Meine Familie verschiebt deshalb unser Fest!« Sie lacht. »Unsere Nachbarn werden uns für völlig bescheuert halten!«
»Klasse Idee«, Karin lacht mit, dann überlegt sie kurz.
»Doch, hört sich gut an«, urteilt sie schließlich. »Ein richtiger Märchenprinz also. Ich nehme an, er sieht dazu noch gut aus, hat Kohle und freut sich auf deinen blitzartigen Einzug?«
Jetzt wäre der Moment da, ihre Sorgen loszuwerden. Aber Karin würde sie für geistig minderbemittelt halten, wenn sie ihre Situation schildern würde: Hilfe, ich sitze auf gepackten Koffern und weiß nicht wohin! Ruf ihn an, würde sie sagen, fahr sofort los! Aber gerade das kann sie eben nicht. So plaudert sie noch ein wenig, richtet beste Grüße an Valentin aus und legt auf.
Nina steht unentschlossen in der Telefonkabine. Sie hat sich von Karin Rat erhofft, und nun geht es ihr schlechter als zuvor.
Wen kann sie noch anrufen? Sie schaut auf die Straße hinaus. Ein Mann geht mit tief in den Manteltaschen vergrabenen Händen vor der Kabine auf und ab. Sie läßt ihn hinein, bleibt vor der Kabine stehen und beobachtet ihn. Er hat einen langen, gewachsten Mantel an, dessen untere Rückseite mit Druckknöpfen zusammengehalten wird. Er erinnert sie ein bißchen an Sankt Martin, der seinen Mantel teilt - aber warum nur die untere Hälfte? Ein Gag vielleicht? Plötzlich geht ihr ein Licht auf. Das ist ein Reitmantel! Und im selben Moment fällt ihr Birgit ein. Ein Pferdehänger! Klar, damit kann man auch Umzugskisten transportieren. Und in einem Reitstall ist sicherlich irgendwo eine Ecke frei, wo sie für ein paar Tage ihre Kisten abstellen kann.
Kaum hat der Mann ihre Telefonkabine geräumt, stürmt sie hinein. Bertschinger, Bertschinger, Bertschinger! Hoffentlich wohnt sie in Köln und nicht in irgend so einem Kaff außerhalb! Keine Birgit Bertschinger zu finden. Was, wenn sie bei ihrem Freund wohnt und überhaupt nicht unter ihrem Namen angemeldet ist? Oder gar eine Geheimnummer hat? Enttäuscht ruft sie die Auskunft an. Sie hat Glück, die Frau
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