Die Lüge im Bett
vom Amt bemüht sich, fragt nach, läßt sich den Namen buchstabieren, durchforstet das Umland und sagt plötzlich, als Nina bereits resigniert ihren Notizblock zuklappt: »Bertschinger in der Johannesstraße vielleicht?«
»Johannesstraße?« wiederholt Nina, »keine Ahnung! Könnte sein ... weiß ich nicht. Ich probier's auf alle Fälle mal! Vielen Dank!!«
Mach, daß sie da ist, mach, daß sie da ist, betet sie still, während sie wählt und dann die Luft anhält. Es nützt nichts, niemand hebt ab. Nina atmet tief aus und versucht es von neuem. Draußen steht eine Frau, tritt von einem Fuß auf den anderen und schaut ihr auf die Finger. Nina lächelt sie entschuldigend an, erntet aber nur einen bösen
Blick und beschließt deshalb, es ein drittes Mal zu versuchen. Wenn Birgit nach zwanzig Klingelzeichen nicht rangeht, wird sie auflegen. Birgit ist sicher bei ihrem Pferd oder im Keller oder hat schlicht keine Lust auf einen ewig klingelnden Plagegeist.
Gerade will Nina auflegen, da wird abgenommen. Vor Überraschung bekommt Nina kaum ihren Namen heraus. Es ist eine männliche Stimme. Nina reißt sich zusammen und fragt nach Birgit.
»Sie müßte eigentlich schon zurück sein. Meine Mutter wollte nur kurz zu ihrem Pferd!«
Meine Mutter? Jetzt ist Nina restlos verdattert. Die Stimme hört sich recht erwachsen an. Und überhaupt - ist Birgit denn verheiratet?
»Dann rufe ich gleich noch mal an«, sagt Nina, wird durch die Stimme am anderen Ende jedoch unterbrochen: »Da kommt sie gerade!«
Auf Ninas Bitte reagiert Birgit zunächst überrascht, dann lacht sie: »Klar kann ich dir helfen. Aber einen Pferdehänger werden wir dazu nicht brauchen, außerdem ist so etwas verboten. Ich habe einen recht großen Kombi, das dürfte ausreichen.«
Nina ist glücklich, aber jetzt muß sie Birgit auch noch erklären, daß sie nicht weiß, wo sie die Kartons für ein paar Tage unterstellen kann. Von ihr selbst ganz zu schweigen.
»Ins Frauenhaus wirst du ja nicht gerade wollen?« fragt Birgit vorsichtig.
Nina braucht einige Sekunden, bis sie versteht: »Ach so, nein, das nicht!« Dann muß sie lachen: »Sven ist kein Schläger! - Es könnte schließlich ein Gegenschlag kommen ... er hütet sein Gesicht wie sein ...«, Auto fällt ihr ein, oder Waschbecken, aber beide sind ihr zum Opfer gefallen, »... wie sein bestes Teil. Da besteht keine Gefahr!«
»Wir finden schon was!« beruhigt Birgit sie, als Nina herumdruckst, wohin die Sachen denn eigentlich gefahren werden sollen.
Eine halbe Stunde lang geht Nina vor der Post auf und ab. Sie friert, und sie fühlt sich von Blicken verfolgt. Fehlt nur noch, daß sie nach ihrem Preis gefragt wird. Welche Erleichterung, als ein großer, kastenförmiger Wagen in die Straße einbiegt und Nina Birgit am Steuer erkennt. Sie winkt und läuft ihr entgegen. Birgit bedeutet ihr, auf der Beifahrerseite einzusteigen.
»Sieht aus wie ein Leichenwagen«, lacht Nina zur Begrüßung und reicht ihr die Hand: »Ich bin so froh, daß du da bist, ich kann dir gar nicht sagen, wie!«
»Es ist auch einer!«
»Wie?« fragt Nina irritiert.
»Leichenwagen! Es ist ein ausrangierter Leichenwagen!«
»Oh!« Nina schaut nach hinten, als würde die Leiche bereits eine Hand nach ihr ausstrecken. »Ist dir das nicht unheimlich?«
»Wir sind alles wandelnde zukünftige Skelette!« Birgit grinst.
»Wir sind was?« Nina schaut sie groß an.
»Oder was glaubst du, wie wir in fünfzig Jahren ausschauen?« Birgit mustert die Häuser. »Wo soll ich eigentlich hinfahren?«
Nina schluckt. »Die nächste rechts. Hausnummer 154!«
Birgit gibt Gas.
»Fünfzig Jahre?«
Birgit biegt zügig um die Kurve, der Wagen knirscht. »Na, du vielleicht sechzig, wenn's dich beruhigt!«
Es beruhigt Nina überhaupt nicht, aber sie hat auch keine Zeit mehr, weiter darüber nachzudenken, sie stehen vor der Tür. Hoffentlich sieht Sven dieses Gefährt nicht, sonst ist sie völlig seinem Spott ausgesetzt, denkt Nina, tadelt sich aber sofort für diesen Gedanken. Ihrem katholischen Glauben nach müßte der Himmel jetzt eigentlich postwendend eine Strafe senden. Da käme entweder eine Reifenpanne in Frage oder die Aussetzung des diesjährigen Weihnachtsfestes kraft eines päpstlichen Dekrets.
»Ich finde deinen Wagen verschärft!« lobt Nina beim Aussteigen, um das Schlimmste zu verhindern.
Gott sei Dank ist Sven nicht da, und Birgit hatte recht: Das Ladevolumen des Wagens ist erstaunlich groß. Da wirken die wenigen Sachen,
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