Die Lüge im Bett
die sie heruntergetragen haben, fast ein bißchen verloren. Nina versucht, nicht ständig an die Särge zu denken, die dort lagen, wo jetzt ihre Kartons stehen, aber ihre Phantasie geht permanent mit ihr durch.
Birgits Frage bringt sie wieder auf den Boden zurück: »Und jetzt? Wohin?«
»Ja, wohin?« Eigentlich möchte sie Birgit gern die Situation erklären, auf der anderen Seite arbeitet Birgit auch für den Sender. Sie kennt Sven, sie kennt Nic, sie weiß, daß Nic bei ihrem Anblick nicht gerade vom Stuhl kippt, und wahrscheinlich weiß sie auch, daß Svens Fühler bereits nach höheren Regionen peilt.
Was also soll sie sagen?
»Für länger oder nur für den Übergang?« Birgit glüht bereits den Diesel vor. Übergang? Übergang von Sven zu Nic, oder wie meint sie das? Nina überlegt und klappt ganz in Gedanken die Sonnenblende herunter, um in den Spiegel zu schauen. Natürlich keiner da. Wozu müßte der Beifahrer eines Leichenwagens auch sein Make-up kontrollieren. Eher seine Eckzähne . , »nur bis nach Weihnachten«, sagt sie dann, klappt die Sonnenblende wieder hoch und denkt: Nina, du spinnst!
»Mein Sohn wohnt gerade einige Tage bei mir. Sonst hättest du gern sein Zimmer benutzen können. Aber auf dem Reiterhof haben wir ein Fremdenzimmer. Wenn dir das für ein paar Tage genügt? Und für dein Gepäck finden wir auch etwas!«
»Ist das denn weit von hier?«
Birgit fährt an: »Etwa vierzig Minuten!«
»Gut«, sagt Nina und öffnet schnell die Wagentür, »ich fahre dir hinterher, dann bin ich mobiler!« Sie springt schnell hinaus und schlüpft kurz darauf erleichtert in ihren alten Golf.
Der Reiterhof ist alt und schmutzig und genau das, was Nina sich immer für eine lauschige Vorweihnachtszeit erträumt hat. Sie fährt mit wenig Elan hinter Birgit auf den Hof und überlegt sich, wie sie mit ihren Schuhen ohne Schlammberührung ins Haus kommt. Birgit parkt quer ein, und ein vierbeiniger Wollberg springt an ihrem Auto hoch. Nina bleibt vorsichtshalber erst einmal sitzen. Lachend wehrt Birgit den weißen Hunderiesen ab und winkt Nina zu. Nina kurbelt das Fenster herunter.
»Augenblick mal, ich hole dir ein paar Gummistiefel, sonst versinkst du hier!«
Wie wahr, wie wahr, denkt Nina und würde sich jetzt gern eine Zigarette anzünden. Selbst als Nichtraucherin. So beschränkt sie sich darauf, einen Hautfetzen am Nagelbett abzuziehen. Die Haut reißt tiefer ein als beabsichtigt, blutet und tut weh. Grimmig betrachtet Nina ihr Werk. Du bist selbst schuld, sagt sie sich dabei. Wärst du bloß in eine Pension gefahren. Oder zu Mutti. Oder überhaupt nicht ausgezogen. Wer sagt denn, daß ich stante pede ausziehen muß, nur weil eine Neue einziehen will? Hat sie bei ihrem Einzug vor zwei Jahren etwa eine Einwilligung zur willfährigen Abschiebung unterschrieben?
Hat sie nicht!
Na also!
Sie fährt zurück!
Sofort!
Was will sie hier auf dem Lande, ab vom Schuß, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen?
Die Wagentür geht auf, Birgit hält ihr zwei lehmverkrustete Gummistiefel unter die Nase. »So, die dürften passen!«
»Ich dachte eigentlich ...«, wehrt Nina ab.
Aber Birgit ist schon bei ihrem Leichenwagen und winkt einigen Mädchen, die neugierig aus dem Stall herauskommen.
»Könnt ihr mal mit anpacken?«
Sie können, und Nina schaut zu, wie ihre Umzugskisten im Dunkel hinter der Stalltür verschwinden.
Jetzt muß sie handeln, alles zurückbeordern!
Sie schlüpft mit ihren Seidenstrümpfen in die Gummistiefel, wirft die Wagentür hinter sich zu und läuft hinterher.
»Keine Sorge, hier ist alles gut aufgehoben«, empfängt sie Birgit in einer leeren Pferdebox. »Das ist Regina, das ist Laura, Else und Ann-Katrin.«
Sie strecken Nina alle die Hand hin, und Nina begrüßt jeden artig, dann denkt sie, so, und jetzt mußt du es sagen. Ich will wieder weg hier!
»Deine Kleider sind im Koffer? Ja? Brauchst du für die Tage irgend etwas aus den Kartons? Du kannst aber jederzeit dran. Die Box ist leer ...« Sie zögert, und irgend etwas in ihrer Stimme läßt Nina aufblicken.
»Birgit .«
»Laß nur, ich hab's schon fast überwunden. Er war ja schon alt. Aber ich hatte ihn rund zwanzig Jahre. Das ist eine lange Zeit!«
»Ähm, ich«, Nina schaut auf die Mädchen, die traurig auf die Kartons starren. »Ich, ich wollte nur sagen, daß ich weg ...«, Ann-Katrin streichelt Birgit tröstend über den Arm, Nina holt tief Luft, ». daß ihr euch wegen mir keine Umstände machen müßt. Ich komm
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