Die Lüge
er von mir will.» Sie glaubte es nur zu gut zu wissen, erhob sich und wollte zur Tür mit dem bewährten Spruch: «Ich muss etwas essen.»
Michael hielt sie zurück. «Er meint, du verstehst ihn nicht.»
Es war eine Entscheidung, die in wenigen Sekunden gefällt werden musste. Zugeben, dass sie Jacques nicht verstand, oder hoffen, dass Michael verzieh. Er hätte Nadia wahrscheinlich sogar einen Mord verziehen – für ein Baby. Ein Techtelmechtel mit der Jugendliebe konnte nicht so schwer wiegen.
«Es tut mir Leid», flüsterte sie noch einmal und senkte den Kopf. Anschauen konnte sie ihn in dem Moment nicht. «Ich wollte nicht, dass du es erfährst. Ich habe – es war nichts Ernstes, wirklich nicht. Das musst du mir glauben. Es war nur …» Sie begann zu stammeln, wusste doch nichts über die letzten Monate zwischen Nadia und Jacques und versuchte, Michael mit ein paar Andeutungen abzuspeisen. Es war eben passiert, eine Erinnerung an alte Zeiten, die inzwischen jedoch völlig ohne Bedeutung waren, weil sie ihn liebte, nur ihn, den Vater ihres Kindes. Damit hatte Jacques nun wirklich nichts zu tun, auch wenn er sich das vielleicht einbildete.
Michaels Griff um ihren Arm verstärkte sich und begann zu schmerzen. Mit zusammengepressten Kiefern hörte er zu, fixierte Jacques mit einem Blick, als wolle er ihn mit den Augen erdolchen. «Du hast mit ihm geschlafen.» Es war ein tonloses Flüstern, halb Frage, halb Feststellung.
Sie deutete ein Nicken an. Jacques schüttelte heftig den Kopf, winkte gleichzeitig mit beiden Händen ab. «Non!», stieß er hervor. Was er im Anschluss daran von sich gab, verstand sie nicht. In Dieters Sprachkurs waren keine Sätze enthalten gewesen, die auch nur annähernd die Stimmung eines wütenden Mannes übersetzten. Sie verstand nur den Namen Alina. Feigling, dachte sie und verlangte: «Sprich deutsch, damit Michael dich versteht.»
«Ich verstehe genug», sagte Michael, ließ ihren Arm los und rückte von ihr ab. Er ließ den Blick nicht von ihrem Gesicht, schien auf irgendetwas zu warten. «Er sagt, du lügst. Er sagt, du hast keine Ahnung, wovon er spricht.»
Jetzt wurde es sehr kritisch. Natürlich hatte sie keine Ahnung. Sie wusste nur, dass Nadia nach seiner Trennung von Alina einen herzergreifenden Brief an Jacques geschrieben und um Versöhnung gebeten hatte. Hatte er sich etwa mit Alina versöhnt? Nadias Brief hatte er ja wohl nie gelesen. «Retour à l’Expéditeur».
«In der schlimmen Zeit», begann sie vage – auf die Gefahr hin, dass Michael sie zum Teufel jagte. «Du weißt schon, als ich an der Flasche hing. Ich war so verletzt, weil du dich mit der Palewi eingelassen hattest. Er hatte sich gerade von Alina getrennt, und ich dachte, ich könne mit ihm vielleicht eher als mit – aber ich war völlig betrunken, als ich –, ich war wirklich nicht bei Sinnen.»
Michael starrte sie fassungslos an. Nach etlichen Sekunden strich er sich mit einer müden Geste über Stirn und Augen. Dann legte er Jacques eine Hand auf die Schulter. «Beruhige dich», sagte er. «Von mir wird Alina nichts erfahren.»
Jacques fluchte erneut und gab zusätzliche Erklärungen ab. Michael schob ihn hinaus in den Flur. Sie setzte sich an den Schreibtisch, um das Zittern unter Kontrolle zu bringen. Wieder einmal mit knapper Not davongekommen, aber um welchen Preis! Sie hörte beide die Treppe hinuntergehen, hörte die Haustür schlagen und Michaels eilige Schritte auf der Kellertreppe. Er musste völlig außer sich sein. So gut kannte sie ihn inzwischen, um zu wissen, dass er heftige Gefühle im Wasser auslebte.
Nach einer Weile wagte sie einen Anruf bei Dieter. Ramie kam an den Apparat. Aber das war nun kein Problem mehr. «Hier ist Nadia Trenkler, ich möchte Herrn Lasko sprechen.»
Dieter hörte erfreut, dass in Luxemburg alles reibungslos über die Bühne gegangen war. «Und warum klingst du so bedrückt?»
Sie erzählte es ihm, er versuchte zu trösten. Michaels Reaktionerschien ihm verständlich. «Er wird sich wieder beruhigen», meinte er. «Wenn nicht heute, dann morgen. Und wenn gar nicht, eine Trennung wäre wirklich die beste Lösung.»
Dann bot er an, sich mit den restlichen Anlegern in Verbindung zu setzen, ehe einer von ihnen ebenso rebellisch wurde wie Zurkeulen. Er hatte herausgefunden, bei welchen Banken das Geld lag, und war überzeugt, er könne die acht Männer veranlassen, sich ruhig zu verhalten, bis etwas Gras über alles gewachsen war.
«Aber wir
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