Die Luft, die du atmest

Titel: Die Luft, die du atmest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Buckley

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Virusstämmen, die für das jeweilige Jahr prognostiziert wurden. Dazu gleich mehr. Möchte einer von Ihnen raten, wie viele Amerikaner jährlich an Grippe sterben?»
    Wieder gingen verstreut Hände in die Höhe. Peter rief eine junge Frau mit kurzem schwarzem Haar und einem goldenen Augenbrauenpiercing in der zweiten Reihe auf.
    «Zehntausend?», fragte sie.
    «Dreißig- bis vierzigtausend.»
    Die Studenten murmelten und rutschten unruhig auf ihren Plätzen hin und her.
    «Das ist natürlich nur ein geringer Anteil an der U S-Gesamtbevölkerung . Es sei denn, man ist zufällig einer von den dreißig- oder vierzigtausend.»
    Einige fingen an mitzuschreiben. Gut. Solche Statistiken würden sie in der Prüfung kennen müssen.
    «Man könnte also meinen, die Grippe müsste einem keine Kopfschmerzen bereiten.»
    Der ein oder andere grinste.
    «Weiß jemand von Ihnen, wie viele Gattungen der Grippe man kennt?»
    «Zwei?»
    «Fast. Es gibt drei. Influenza C ist eine leichte Erkrankung der Atemwege, gemeinhin als Erkältung bezeichnet. Influenza B befällt ausschließlich den Menschen und kann Epidemien verursachen. Gegen Influenza B sind üblicherweise die Grippeimpfungen gerichtet. Und als Drittes gibt es A, die Gattung, welche primär Wassergeflügel befällt und daher alsVogelgrippe bekannt ist. Sie ist die einzige Form der Influenza, die zu Pandemien führen kann.»
    Peter sah einen Studenten im T-Shirt und mit langen Koteletten an, der lässig auf seinem Stuhl hing. «Wollen Sie sich das vielleicht aufschreiben?»
    Rasch setzte sich der Student gerade hin und schlug seinen Ordner auf.
    Peter legte eine leere Folie quer auf den Overheadprojektor und nahm einen Stift zur Hand. Nach so vielen Jahren der Arbeit mit PowerPoint war es schön, wieder einmal auf die alte Lehrmethode zurückzugreifen. «Pandemie.» Er unterstrich die erste Silbe. «Die Vorsilbe
pan
bedeutet
all, ganz
,
gesamt
. 1918 brach eine Pandemie aus, der weltweit fünfzig bis hundert Millionen Menschen zum Opfer fielen.»
    Nun grinste niemand mehr.
    «Sehen wir uns einmal an, wie Influenza A sich zu einer Grippepandemie auswachsen kann.» Er begann einen Strich über das untere Ende der Folie zu ziehen. «Stellen Sie sich vor, das akute Influenza- A-Virus sei H3N1. Es breitet sich durch Ansteckung aus.» Der Strich ging in einer Kurve nach oben. «Menschen, die die Infektion überleben, sind immun. Gleichzeitig entwickeln wir einen Impfstoff, mit dem wir wichtige Funktionsträger versorgen, Kindergärtnerinnen und Tagesmütter, Notfallärzte.» Er blickte auf und wackelte mit den Augenbrauen. «Universitätsprofessoren.»
    Sie lachten.
    Er wandte sich wieder der Folie zu. «Und so geht es weiter.»
    Die Kurve flachte ab.
    «Jetzt haben wir zwei Bevölkerungsgruppen, die das Virus nicht weitergeben können, also Immunität bestimmter Gemeinschaften. Das Virus infiziert immer weniger Menschenund muss möglicherweise irgendwann auf Tiere ausweichen. Damit ist dieses spezifische Virus aus dem Spiel, jedenfalls temporär.»
    Der Strich dünnte sich zu einer Reihe von Punkten aus.
    «Doch warten Sie. Plötzlich ändert das Virus die Form seiner Proteinrezeptoren. Die Folge ist, dass unsere Impfstoffe nicht länger wirken.»
    Die Kurve stieg wieder ein wenig an.
    «Wir müssen eine neue Art von Immunität aufbauen. Was uns nach einer Weile gelingt.»
    Wieder wurde die Kurve flacher. Die Linie auf der Folie begann einer Treppe mit abgerundeten Stufen zu gleichen.
    «Das ist der sogenannte Antigendrift.» Peter schrieb das Wort in Großbuchstaben an die Tafel und unterstrich es. «Die Weltgesundheitsorganisation WHO arbeitet hart daran, ihn zu überwachen und unter Kontrolle zu bringen. Hat jemand von Ihnen eine Idee, mit welchen Mitteln?»
    Wieder schossen Hände in die Luft. Er deutete auf einen blonden Burschen hinten im Saal.
    «Indem man Hausgeflügelhaltungen überwacht. Und die Tiere tötet, wenn das Virus gefunden wird.»
    «Genau. Nun ist der Antigen
drift
schon keine Kleinigkeit. Der sogenannte Antigen
shift
aber ist Freddy Krueger, Graf Dracula und Hannibal Lecter in einem.»
    Nun merkten sie alle auf. Recht so. Er übertrieb nicht.
    «Der Antigen
shift
tritt ein, wenn zwei Influenzaviren, ein Vogel- und ein Menschenvirus, sich in einem Wirt vermischen.» Er malte zwei Kleckse mit Fühlern. «Das Schwein ist für diese Rolle ideal, weil es sowohl für Menschen- als auch für Vogelinfluenzaviren anfällig ist. Sagen wir also, diese beiden Viren