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Die Luft, die uns traegt

Die Luft, die uns traegt

Titel: Die Luft, die uns traegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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Partie ist. Und soweit ich gehört habe, wird sich der Nachwuchsarzt ebenfalls am Freitag anschließen. Ich könnte mir vorstellen, dass es auch eine Flasche Brandy und einen beschwipsten Rückweg durch Rising Valley oder von Gallows Hill herunter geben wird.
    Aber sie werden auch nach Vögeln Ausschau halten und horchen, sie sind vollkommen begeistert. Das haben allein Sie geschafft, wissen Sie – Sie und Ihre Gedichte und dieser clevere Trick, am Montagmorgen den Reisstärling mit Ihrer Fiddle »herauszufordern«. Die »Überlebenden« (wie wir uns acht nennen, die bisher noch keinen Morgen im Feld verpasst haben und es auch nicht vorhaben) sprechen von nichts anderem.
    Also, ja, es ist Ihre Schuld, dass die Wege und Felder und Bachufer rund um Burnham Ridge von Montag bis Freitag zu den besten Beobachtungsstunden von Insektenspray ausdünstenden, Feldstecher schwingenden »Vogelspinnern« (das ist unser anderer Name für uns selbst) nur so wimmeln.
    Wie gesagt, ich freue mich darauf, mit Ihnen ganz allein am Samstagmorgen still zu lauschen – wenn all die anderen » Überlebenden« ihre Vögel und ihren Brandy ausschlafen.

Fünf
    Pennsylvania ist, je nach Betrachtungsweise, entweder Subtilität in Reinform oder ein Musterbeispiel für Kontraste, still und nuanciert oder gellend vor zu viel Geschichte. Es kann einem – zum Beispiel auf einer Autofahrt von New York nach Chicago – vorkommen wie ein endloser Streifen aus Braun und Grau, unterbrochen von einem imposanten Fluss und hier und da ein wenig Industrie, dazu die im Amerika des späten zwanzigsten Jahrhunderts unvermeidliche billige und hässliche Zersiedelung der Landschaft. Das war zwischen zwanzig und dreißig Scarlet Kavanaghs Meinung über Pennsylvania.
    Doch sich mit diesem abstrahierten Blick durch eine Windschutzscheibe zu begnügen, hieß – so erkannte sie schließlich – , einige wichtige Unterschiede außer Acht zu lassen. Das berühmte Ackerland der Amischen und die sonderbaren, charakteristischen Symbole an den Scheunen der Pennsylvania Dutch. Die tiefe Kerbe, die die Minen im Norden und Westen in die Landschaft schnitten. Im Südosten Überbleibsel der Kolonialzeit (beispielsweise diese schmalen Treppen; waren damals wirklich alle Menschen so winzig?).
    Ihre Mutter Addie war klein – nur gute eins fünfzig und knapp über fünfundvierzig Kilo in jenem Frühling, als sie und Tom Kavanagh sich ineinander verliebten. Für Addie waren
das Burnham College und seine Umgebung eine Offenbarung. Anders konnte man ihre Entdeckung der zu Bucks County gehörenden Ecke, in der die kleine Hochschule ordentlich auf einem Grat zwischen zwei Tälern hockte, nicht beschreiben. Diese Täler wanden sich bis an die Stelle nach Osten zu, wo der Nisky Creek und der Kleine Creek in den Delaware River mündeten, der wiederum die Grenze zwischen Pennsylvania und New Jersey bildete. Dieses wunderschöne Fleckchen Erde lag nur eine zweistündige Autofahrt von Addies Elternhaus entfernt, aber es hätte auch durch einen Ozean davon getrennt sein können. Zum ersten Mal hatte sie diesen Teil des Delaware River gesehen, als sie in ihrem letzten Jahr auf der Highschool erfuhr, dass sie am Burnham College angenommen worden war und außerdem ein Stipendium erhalten würde, woraufhin sie dem Campus einen Besuch abgestattet hatte.
    Sie liebte all die Namen aus der Kolonialzeit, in denen England widerklang – Hampstead und Plumville und Easthampton, Milford Crossing und Gallows Hill. Natürlich gab es auch deutsche Relikte. Das Haus, in das sie später mit Tom einziehen und in dem Scarlet ihre unbeschwerte Kindheit und Teile ihrer trotzigen Jugendjahre verbringen sollte, war ursprünglich eine morsche Fischerhütte zwischen der Haupt Bridge Road und dem Kleine Creek gewesen. Jahre später, nachdem Toms erste Frau nach New York gezogen war und Tom das Cottage gekauft hatte, ging Addie dazu über, den Bach, der sich durch die Wälder vor ihren Fenstern schlängelte, statt » Kleine« Creek hartnäckig »Little« Creek zu nennen. Die Leute wussten selten, was sie damit meinte, aber das störte Addie überhaupt nicht.
    Ihr Lieblingsname aber war der einheimische indianische, Nisky, für den größeren, lauteren Bach – beinahe schon ein kleiner Fluss –, der von Westen her auf das Cottage zufloss und sich unter der wackeligen alten Brücke mit dem Kleine Creek
vereinigte. Hier am Nisky Creek, ungefähr vierhundert Meter hinter ihrem Haus, hatte Tom seiner jungen Braut, der

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