Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
sich in Windeseile aus.«
»Ich dachte, ich sei nicht ansteckend.«
»Nicht mehr, weil Ihr Körper inzwischen Möglichkeiten gefunden hat, sich von der Krankheit zu befreien, aber Sie könnten es früher einmal gewesen sein. Außerdem vermute ich, dass Lunarier unterschiedlich stark immun sind – während sich einige völlig von der Krankheit befreien können, tragen andere sie mit sich herum, ohne je sichtbare Symptome zu entwickeln. Sie tragen sie mit sich, wohin sie auch gehen, auch wenn sie keine Ahnung von den Problemen haben, deren Ursache sie sind.«
Cinder fuchtelte mit den Händen vor ihm herum. »Nein. Sie irren sich. Es muss eine andere Erklärung dafür geben. Ich kann nicht …«
»Ich verstehe ja, dass das alles sehr viel auf einmal ist. Aber Sie müssen unbedingt begreifen, warum es viel zu gefährlich für Sie ist, wenn deren Majestät eintrifft.«
»Ich verstehe überhaupt nichts! Ich bin keine von denen!«
Ein Cyborg zu sein und eine Lunarierin – eins langte schon, um einen Mutanten, eine Ausgestoßene aus ihr zu machen, aber gleich beides? Sie schauderte. Lunarier waren ein wildes und grausames Volk. Sie ermordeten ihre Hüllenkinder. Sie logen und betrogen sich gegenseitig, sie verpassten sich Gehirnwäschen, nur weil sie es konnten. Ihnen war es egal, wen sie verletzten, solange sie sich Vorteile verschaffen konnten. Nein, sie war keine von denen.
»Linh-mèi, Sie müssen mir zuhören. Sie sind aus einem bestimmten Grund hierhergebracht worden.«
»Vielleicht um Ihnen zu helfen, ein Gegenmittel zu finden? Glauben Sie vielleicht, das sei so ein verkorkstes Geschenk des Schicksals?«
»Ich spreche nicht von Schicksal oder Vorsehung. Ich spreche vom Überleben. Die Königin darf Sie unter keinen Umständen sehen.«
Cinder wich zurück, sie war kurz davor, die Fassung zu verlieren. »Warum? Warum sollte sie mich überhaupt beachten?«
»Sie würde Ihnen sogar außerordentlich viel Beachtung schenken.« Er zögerte, in seinen himmelblauen Augen stand Panik. »Sie … Sie hasst Lunarier-Hüllen, müssen Sie wissen. Denn Hüllen sind immun gegen die Gabe der Lunarier.« Auf der Suche nach den richtigen Worten gestikulierte er in der Luft herum. »Die Gehirnwäsche zum Beispiel. Königin Levana kann Hüllen nicht beherrschen, und deswegen lässt sie sie alle umbringen.« Er biss sich auf die Unterlippe. »Königin Levana ist jedes Mittel recht, um ihre Macht zu erhalten und Widerstand im Keim zu ersticken. Das bedeutet, dass sie alle töten muss, die sich ihr in den Weg stellen könnten – Leute wie Sie. Verstehen Sie? Wenn sie Sie sieht, wird sie Sie umbringen.«
Cinder schluckte und drückte ihren Daumen gegen das linke Handgelenk. Sie konnte ihren ID-Chip nicht spüren, aber sie wusste, dass er da sein musste. Irgendeinem Verstorbenen abgenommen.
Wenn Dr. Erland Recht hatte, dann war alles, was sie über sich selbst, ihre Kindheit und ihre Eltern wusste, falsch. Dann war ihre Geschichte frei erfunden. Genau wie sie selbst.
Die Vorstellung von lunarischen Flüchtlingen war auf einmal gar nicht mehr so abwegig.
Sie wandte sich dem Netscreen zu. Jetzt war Kai im Presseraum zu sehen, er sprach auf einem Podium.
»Linh-mèi, jemand hat sehr viel auf sich genommen, um Sie hierherzubringen, und nun sind Sie in äußerster Gefahr. Sie dürfen sich diesem Risiko auf keinen Fall aussetzen.«
Sie hörte ihm nur mit halbem Ohr zu, denn sie las den Text, der am unteren Ende des Bildschirms entlanglief.
Eilmeldung: Koenigin Levana von Luna im asiatischen Staatenbund zu Friedensbuendnisverhandlungen erwartet. Eilmeldung: Koenigin Levana von Luna …
»Linh-mèi? Hören Sie mir überhaupt zu?«
»Klar«, sagte sie. »Gefahr im Verzug. Ich hab’s verstanden.«
20
Das Raumschiff der Lunarier unterschied sich nicht sehr von denen der Erde, aber sein Gehäuse schimmerte wie von eingelegten Diamanten, und um seinen Rumpf wand sich ein breites Band goldener Runen. In der Nachmittagssonne leuchtete die Raumsonde zu grell, und Kai musste die Augen zusammenkneifen, um nicht geblendet zu werden. Er wusste nicht, ob die Runen wirklich magisch waren oder nur so erscheinen sollten; und ebensowenig, ob das Raumschiff aus einem raffinierten, glitzernden Material gemacht oder nur so bemalt war. Er wusste lediglich, dass es wehtat, wenn man es ansah.
Die Raumsonde war zwar größer als die persönliche Raumfähre, in der Sybil, die Oberste Thaumaturgin der Königin, zur Erde gekommen war, aber doch
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