Die Luna-Chroniken: Das mechanische Mädchen (German Edition)
Menge unter. Maljen grinste breit. Dann merkte er, dass ich die Augen verdrehte.
»Was denn? Ich dachte, du magst Tanja.«
»Wir haben einander nicht viel zu sagen«, erwiderte ich mürrisch. Ich hatte Tanja tatsächlich gemocht – anfangs. Als Maljen und ich das Waisenhaus in Keramzin verlassen hatten, um in Poliznaja unsere militärische Ausbildung anzutreten, hatte ich mich vor Begegnungen mit anderen Menschen gefürchtet. Trotzdem hatten mich viele Mädchen unbedingt kennenlernen wollen, allen voran Tanja. Aber die Bekanntschaften hielten immer nur so lange, bis ich begriff, dass diese neuen Freunde sich nur wegen meiner engen Beziehung zu Maljen für mich interessierten.
Ich sah zu, wie er die Arme reckte und zum Herbsthimmel aufschaute. Er wirkte rundum zufrieden und seine Schritte waren, wie ich verdrossen bemerkte, sogar ein klein wenig beschwingt.
»Was ist denn los mit dir?«, flüsterte ich wütend.
»Nichts«, antwortete er überrascht. »Ich fühle mich sauwohl.«
»Warum bist du so … so ausgelassen?«
»Ausgelassen? Ich war noch nie ausgelassen. Das entspricht gar nicht meinem Wesen.«
»Und was soll das dann?«, fragte ich und schwenkte eine Hand in seine Richtung. »Du siehst so aus, als wärst du zu einem Fest unterwegs, obwohl du demnächst vielleicht getötet und verstümmelt werden wirst.«
Maljen lachte. »Du machst dir zu viele Sorgen. Der Zar hat nicht nur eine ganze Truppe von Inferni geschickt, um die Skiffs zu beschützen, sondern auch einige dieser grässlichen Entherzer. Wir haben unsere Gewehre«, sagte er und klopfte auf die Waffe, die er auf dem Rücken trug. »Uns kann nichts passieren.«
»Bei einem richtig üblen Angriff ist ein Gewehr keine große Hilfe.«
Maljen warf mir einen amüsierten Blick zu. »Was ist nur los mit dir? Du bist in letzter Zeit noch stinkiger als üblich. Und du siehst schrecklich aus.«
»Vielen Dank«, grollte ich. »Ich habe schlecht geschlafen.«
»Oh! Das ist ja etwas ganz Neues.«
Er hatte nicht Unrecht, denn ich schlief immer schlecht. Aber während der vergangenen Tage hatte ich überhaupt kein Auge mehr zugetan. Die Heiligen wussten, dass ich mich aus vielen guten Gründen vor der Schattenflur fürchtete, und diese Gründe kannte jeder Angehörige unseres für die Durchquerung ausersehenen Regiments. Aber da war noch etwas, ein nagendes Unbehagen, das ich nicht in Worte fassen konnte.
Ich sah zu Maljen. Früher hätte ich ihm alles erzählt. »Ich habe … so ein komisches Gefühl.«
»Mach dir nicht zu viele Gedanken. Vielleicht geht Michail mit an Bord. Dann werden uns die Volkra nach einem Blick auf seinen fetten, saftigen Bauch in Ruhe lassen.«
Eine Erinnerung tauchte auf: Maljen und ich, gemeinsam auf einem Stuhl in der Bibliothek des Herzogs sitzend und in einem großen, ledergebundenen Buch blätternd. Damals entdeckten wir das Bild eines Volkra: lange, faulige Klauen; lederige Flügel; rasiermesserscharfe Zähne, wie geschaffen dafür, sich an Menschenfleisch zu mästen. Die Volkra waren blind, weil sie seit Generationen auf der Schattenflur lebten und jagten, aber sie konnten Menschenblut angeblich schon aus weiter Ferne wittern. Ich hatte auf die Seite gezeigt und gefragt: »Was hält er da?«
Maljens geflüsterte Antwort hatte ich noch immer im Ohr: »Ich glaube … einen Fuß, glaube ich.« Wir hatten das Buch zugeklappt und waren kreischend in den sicheren Sonnenschein hinausgerannt.
Ich hatte unwillkürlich angehalten, stand da wie angewurzelt, konnte die Erinnerung nicht abschütteln. Als Maljen bemerkte, dass ich zurückgeblieben war, seufzte er und kehrte zu mir um. Er legte mir die Hände auf die Schultern und schüttelte mich.
»Das war nur ein Scherz. Niemand wird Michail fressen.«
»Ja, ich weiß«, sagte ich, den Blick auf meine Stiefel gesenkt. »Du bist wirklich ein Witzbold.«
»Komm schon, Alina. Uns passiert nichts.«
»Woher willst du das wissen?«
»Sieh mich an.«
Ich zwang mich, ihn anzuschauen.
»Glaubst du, ich hätte keine Angst?«, fragte er. »Aber wir werden die Schattenflur unversehrt durchqueren. Du weißt doch, dass wir einen Schutzengel haben.« Er lächelte und mein Herz begann wie wild zu pochen.
Ich strich mit dem Daumen über die Narbe auf meiner rechten Handfläche und holte rasselnd Luft. »Ja, ich weiß«, antwortete ich mürrisch und musste wider Willen lächeln.
»Die Dame hat endlich bessere Laune!«, rief Maljen. »Dann kann die Sonne ja wieder scheinen!«
»Ach,
Weitere Kostenlose Bücher