Die Lust des Bösen
schwer ertragen. Damals – als er seine Frau verloren hatte – war es schon schwer für ihn gewesen. Aber seine Tochter zu verlieren und zu wissen, dass sich irgendeine Bestie an ihr ausgetobt hatte, um wer weiß welche abartigen Fantasien an ihr auszuleben, war für ihn nicht auszuhalten.
Er musste einen starken Brechreiz unterdrücken. Sein ganzer Körper fühlte sich taub an, und er war wie benommen. Er spürte nur noch Schmerz und zugleich eine unglaubliche Ohnmacht in sich hochsteigen. Das alles zu akzeptieren, dass sie hier lag und dieser Irre, der ihr das angetan hatte, noch frei herumlief, war mehr, als ein Mensch ertragen konnte. Hausmann konnte es nicht! Und doch vermochte er nichts dagegen zu tun. Nur dazustehen und ihr zu sagen, dass es ihm so leid tat – das war zu wenig. Seine Tochter hatte mehr verdient als das. Wie sehr hatte er sie damals verletzt? Er wusste, dass sie ihm den Tod ihrer geliebten Mutter nie verziehen hatte. Und jetzt stand er hier und konnte nichts mehr tun. Er konnte sich nicht mehr entschuldigen, würde nie mehr mit ihr sprechen können, sie nie wieder berühren, umarmen oder lachen sehen. Nie wieder würde er ihr wunderschönes, unbeschwertes Lachen hören können! Tränen traten ihm in die Augen.
Lea war besorgt, sie hatte nicht damit gerechnet, dass es ihn mit einer solchen Wucht aus der Bahn werfen würde. Ja, er war ein sensibler Mann, wohl mehr, als sie geglaubt hatte. Und dieser Fall hier war selbst für sie hart an der Grenze.
»Kommen Sie«, bat sie ihn sanft, »gehen wir raus. Vielleicht tut Ihnen etwas frische Luft gut.«
Hausmann war gerührt von ihrer Fürsorge.
Vielleicht hatte sie recht. Er musste hier raus, jetzt sofort. Zu stark waren die Gefühle, die er gerade empfand. Neben der Trauer machte sich nun eine ungeheure Wut in ihm breit. Er wollte nichts sehnlicher, als dass diese Bestie gefasst und zur Verantwortung gezogen wurde.
Mit erstickter Stimme wandte er sich schließlich an die junge Profilerin: Sie möge dafür sorgen, dass der Täter gefasst werde.
»Bitte versprechen Sie mir das! Hannah war das Einzige, was mir geblieben ist, und ich habe sie sehr geliebt.«
Lea sah seine traurigen Augen. Wo war jener Mann, den sie so sehr bewundert hatte? Ja, sie wollte ihm helfen, und ihm dieses Versprechen zu geben war alles, was sie jetzt für ihn tun konnte. Sie gab es ihm, obwohl sie noch nicht sicher war, ob sie es auch wirklich halten konnte.
I nzwischen waren einige Wochen vergangen, und Hausmann hatte sich mehr schlecht als recht über die Zeit gerettet. Diese ungeheure Traurigkeit, die sich über ihm ausgebreitet hatte wie eine dunkle Wolke, die einfach nicht weiterziehen wollte, schien ihn zu erdrücken. Seine Verpflichtungen erfüllte er wie eine Maschine, die einfach funktionierte, obwohl der Motor schon einen beträchtlichen Teil seiner Leistung eingebüßt hatte.
Trost fand er nur in der Erinnerung. Seit zwei Tagen spürte er die Anwesenheit seiner toten Frau. Sie sprach ihm Mut zu und nahm ihm etwas von der Last seiner Schuldgefühle. Ihre Gegenwart war wie eine sehr leichte, sanfte Berührung, die er wahrnahm, und er hatte das Gefühl, von etwas Warmem und Besänftigendem umhüllt zu sein.
Zum ersten Mal seit dem Tod seiner Tochter fand er etwas Frieden. Dennoch fühlte er sich schuldig, weil er nicht auf Hannah aufgepasst hatte. Er hatte seinen kleinen Engel nicht beschützt.
Wenn er doch nur da gewesen wäre …
Es klingelte an der Tür. Der Manager öffnete selbst. Seinem Hausangestellten Toni hatte er eine Woche frei gegeben, um ungestört zu sein. Er konnte es in dieser Zeit einfach nicht ertragen, Menschen um sich zu haben, sondern wollte mit sich und seinem Schmerz allein sein.
»Guten Tag, Frau Lands«, begrüßte er die Kommissarin überrascht. Lea hatte sich offiziell einen Tag Urlaub genommen, um noch einmal nach Frankfurt zu reisen.
Hausmann hatte damit gerechnet, dass sie kommen würde, oder hatte es vielmehr gehofft. Jeden Tag betete er darum, dass sie diesen Kerl fassen würden. Er war gespannt auf Leas Bericht.
»Kommen Sie doch rein«, bat er sie.
»Ich hoffe, ich störe Sie nicht.«
»Nein, nein, keineswegs«, wiegelte er ab, war er doch froh, dass sie hier war. So konnte er zumindest für einen Moment seine dunklen Gedanken abschütteln.
»Darf ich Ihnen einen Tee oder einen Kaffee anbieten?«
Die Kommissarin lehnte dankend ab.
»Dann erzählen Sie doch mal, Frau Lands, wie weit sind Sie denn mit Ihren
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