Die Lust des Bösen
Ermittlungen vorgedrungen?«, fragte er erwartungsvoll, während er sie ins Kaminzimmer geleitete.
An seinen leuchtenden Augen sah sie, wie viel er sich von ihrem Besuch erhoffte, und es tat ihr leid, ihn enttäuschen zu müssen. Sie seien einfach noch nicht so weit gekommen. Vielmehr sei sie hier, weil sie etwas über seine Tochter erfahren wolle, was für ein Mensch sie gewesen sei und was sie gerne gemacht habe.
Sie sah ihm seine Enttäuschung an, aber sie wusste, dass er klug genug war zu erkennen, dass seine Hoffnung eben nicht mehr als nur ein frommer Wunsch war. Dennoch freute sich Hausmann, dass sie ihr Versprechen ernst nahm.
»Nehmen Sie Platz, Frau Lands. Wissen Sie, das ist mein Lieblingszimmer. Hier sitze ich manchmal stundenlang, und niemand stört mich, wenn ich alleine mit mir bin und meinen Gedanken nachhänge. Aber ich möchte Sie nicht langweilen.«
»Nein, nein«, entgegnete Lea, »das tun Sie ganz und gar nicht.«
Sie war froh, dass er sich wieder etwas gefangen hatte, denn sie hatte sich große Sorgen gemacht, dass er sich vielleicht etwas antun könnte. Während sie fast in dem voluminösen braunen Victorian-Chesterfield-Sofa versank, fuhr der Banker fort: »Wissen Sie, Frau Lands, Hannah war eine wundervolle Tochter. Und sie hat viel zu früh in ihrem Leben erfahren müssen, wie schmerzlich es ist, einen geliebten Menschen zu verlieren. Ihre Mutter starb bei einem Autounfall. Hätte ich ihr damals nicht so viel Schmerz zugefügt, würde sie heute vielleicht noch leben.«
»Wie meinen Sie das?«, wollte sie wissen.
Hausmann hatte den Blick gesenkt. »Wissen Sie, ich habe in meinem Leben schon viele Fehler gemacht. Fehler, die man einfach nicht mehr gutmachen kann.«
Damals, als er noch jung gewesen sei, habe er immer gedacht, er könne etwas verpassen. Für ihn würde es keine Fehler geben, nur etwas, was man tat, und etwas, was man nicht tat. Nach dieser Devise habe er gelebt und getan, wozu er Lust gehabt habe. Mit anderen Worten: Er habe mitgenommen, was das Leben ihm zu bieten hatte – und das sei eine Menge gewesen.
Während er das erzählte, sah er sich in seinem Trenchcoat mit zerzausten Haaren aus dem Frankfurter Hilton-Hotel kommen, die verchromten Flügeltüren öffneten sich, und draußen dämmerte es schon. Ein flüchtiger Blick auf seine alte Rolex Celini hatte ihm offenbart, dass es bereits fünf Uhr morgens war. Reichlich spät, um von der Jubiläumsfeier der Bank nach Hause zu kommen. Er hatte gerade noch zwanzig Minuten Zeit gehabt, um sich eine plausible Geschichte für seine Frau auszudenken.
Immer noch hatte er ein leichtes Zittern vom Restalkohol gespürt, als seine nervösen Finger in den Taschen nach dem Schlüssel seines 7er-BMWs suchten. Die Stadt schien wie ausgestorben, und nur eine leichte Brise wirbelte etwas Müll durch die Straßen. Oben in Zimmer 37 lag noch immer seine Sekretärin – nackt und fest schlummernd wie ein Baby. Schon seltsam, was Alkohol alles im menschlichen Verhalten verändern kann. Was als harmlose Betriebsfeier begonnen hatte, war zu einer kleinen Orgie mit seiner Sekretärin geworden. Dabei war sie im Büro immer so prüde und distanziert – niemals hätte er vermutet, dass unter dieser Fassade ein solcher Vulkan schlummerte. Doch mit den beginnenden Kopfschmerzen der Ausnüchterung schlichen sich auch die ersten Vorboten seines schlechten Gewissens ein. Mit einer fahrigen Handbewegung hatte er die bösen Geister zu verscheuchen versucht. Als er den Motor seiner Limousine startete, drehten sich seine Gedanken nur noch um eins: alles, was geschehen war, zu vergessen. Dieser belanglose One-Night-Stand hatte selbstverständlich niemals stattgefunden.
»Wissen Sie, Frau Lands«, bekannte er, während sich diese Bilder wieder in sein Gedächtnis drängten, »für mich war es noch nie schwer, mit Frauen in Kontakt zu kommen.«
Er liebe Frauen, auch heute noch. Das Thema Treue sei für ihn jedoch lange Zeit wie ein Buch mit sieben Siegeln gewesen. Denn warum sollte er immer einer Frau treu sein, wenn man doch so viele andere haben konnte? Und es sei immer wieder dieser Kick aus Adrenalin, Aufregung und Vorfreude gewesen – der Reiz des Unbekannten. Er habe sich einfach vorgestellt, wie es mit anderen Frauen sein würde. Wie sie dufteten, wie sie sich anfühlen würden und wie sie wohl im Bett wären. Und dann, wenn er sie erobert hatte, verloren sie ihren Reiz. Heute sähe er das anders, erklärte er.
»Es war ein großer Fehler, und
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