Die Lust des Bösen
tun, dem es um Kontrolle ging. Es war die Form von Gewalt, die darauf abzielt, das Opfer zu kontrollieren, zu manipulieren und zu unterwerfen. Die kontrollierende Gewalt, mit der der Täter hier zweifelsohne vorgegangen ist, war ein direktes Mittel, sich seines Opfers zu bemächtigen.«
»Ja«, ergänzte Mayer, »der Täter hat sein Opfer sediert, entkleidet und gefesselt und es damit gezwungen, sich zu fügen. Es hatte keine Chance, ihm zu entrinnen.«
»Spielte sexuelle Gewalt eine Rolle?«, wollte Lea wissen.
»Ja, zweifellos«, bestätigte der Rechtsmediziner. Er habe Spermaspuren an ihren Brüsten gefunden, und der Täter habe sich keine Mühe gegeben, diese Spuren zu entfernen.
»Das ist doch großartig!«, rief die junge Profilerin euphorisch, »dann dürfte es doch kein Problem für uns sein, seine DNA festzustellen.«
»Nein, die haben wir, aber uns fehlt natürlich noch etwas, mit dem wir seine DNA vergleichen können.« Mayer grinste jetzt ein wenig verschmitzt, denn das war genau die Art von Galgenhumor, die er sich über all die Jahre bewahrt hatte und die ihn die Arbeit hier ertragen ließ.
»Ja, ich weiß«, platzte Lea ungeduldig heraus, »aber das werden wir Ihnen schon noch beschaffen.«
Es handelte sich also um einen Täter, dem es sowohl um Kontrolle und Macht als auch um sexuelle Motive ging, auch wenn letztere ihres Erachtens eine untergeordnete Rolle gespielt haben dürften. Ihm lag wohl in erster Linie daran, das Opfer so lange wie möglich zu quälen und dann, wenn er es für richtig hielt, dessen Tod herbeizuführen.
»Sie sagten, der Täter hat das Mädchen gefesselt?«
»Ja«, bestätigte der Gerichtsmediziner, »hier an den Händen und auch an ihren Fußgelenken können wir charakteristische Fesselungsmarken sehen. Das unterstreicht Ihre Theorie von der Kontrolle, Frau Lands. Und bei diesem Material hier ist davon auszugehen, dass der Täter keine Rücksicht auf ihre Schmerzen genommen hat. Wie Sie unschwer erkennen können, haben die Fesseln tief in die Haut der jungen Frau eingeschnitten. Es muss äußerst schmerzhaft für sie gewesen sein. Und zum Schluss habe ich noch ein Extra-Schmankerl für Sie, Frau Lands: Wir haben bei unserer Ermordeten Anhaftungen von Tierhaaren gefunden.«
»Tierhaare?«
»Ja«, bestätigte Mayer, der diese Reaktion erwartet hatte, »ich habe sie sofort von unserem Experten testen lassen. Es sind die Haare eines Schäferhundes. Der DNA-Test ist da eindeutig, denn genetische Fingerabdrücke funktionieren bei allen Lebewesen, nicht nur bei uns Menschen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein anderer Hund dasselbe Muster in den zehn untersuchten DNA-Abschnitten aufweisen könnte, beträgt eins zu siebzig Millionen.«
»Das heißt, wir haben hier eine DNA, die wir absolut sicher einem Hund zuordnen können?« Lea konnte es kaum glauben.
Mayer nickte zustimmend. »Oder, um es anders auszudrücken: Obwohl es gut sein kann, dass mehr als siebzig Millionen Hunde auf unserem Planeten leben, kommt wegen seiner Haarfarbe und der räumlichen Nähe in unserem Fall nur dieser Hund, genau genommen eine Schäferhündin, als Spurenleger in Frage. Interessant, nicht?«
»Ja.« Die Profilerin überlegte. Was um alles in der Welt hatte ein Schäferhund mit dem Mord zu tun? War es vielleicht der Hund des Opfers oder der des Mörders? Das ließe sich ja relativ schnell herausfinden, denn sobald die Indentität der Toten feststand, musste Lea nur mit den Eltern des Mädchens sprechen. Und wenn es nicht der Hund der Toten war, umso besser, dann hatten sie schon wieder einen Anhaltspunkt mehr. Aber jetzt mussten sie erst einmal herausfinden, wer die Tote war.
In diesem Moment öffnete sich die Tür des Obduktions saales, und Mayers Assistenzärztin stürzte herein: »Dr. Mayer, das müssen Sie sich ansehen! Ich glaube, wir wissen, wer die Tote ist.«
»Ach, so schnell?«
»Ja, gerade vor einer halben Stunde wurde eine Vermisstenanzeige aufgegeben, und die Beschreibung passt eins zu eins zu unserem Opfer.«
»Okay, wer ist sie?«
»Es handelt sich wahrscheinlich um Hannah Hausmann, ihr Vater ist der bekannte Bankier Robert Hausmann.«
»Ah«, merkte Lea an, »von ihm habe ich schon einiges gelesen. Er ist einer der wenigen Wirtschaftsbosse unseres Landes. Er sagt, was er denkt, und handelt auch danach. Einer mit Prinzipien. Ein charmanter Mann.«
Die junge Fallanalytikerin geriet sichtlich ins Schwärmen, je mehr sie von Hausmann erzählte.
»Na, das muss ja Superman
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