Die Lust des Bösen
Pause.«
Lea stand im Eingangsbereich des Festsaales und hatte seine Rede fasziniert verfolgt. Was für ein bemerkenswerter Mann! Jetzt hatte sie die undankbare Aufgabe, diesem so besonderen Menschen eine Nachricht zu überbringen, die an den Grundfesten seines Selbst rütteln würde. In diesem Augenblick hasste sie ihren Beruf. Aber sie hatte keine Zeit, sich weitere Gedanken zu machen, denn Hausmann kam – in seinem dunkelgrauen Anzug, dem hellgrauem Hemd und der rosafarbenen Seidenkrawatte, die einen modischen Akzent setzte – mit schwungvollen Schritten direkt auf sie zu. Jetzt musste sie handeln.
»Herr Hausmann«, sprach die Profilerin ihn an.
»Ja«, erwiderte er und schenkte ihr ein Lächeln, das ihn für sie noch sympathischer machte.
»Mein Name ist Lea Lands vom LKA Berlin. Ich habe eine Nachricht für Sie, können wir uns vielleicht einen Moment in den Nebenraum setzen? Es ist etwas Persönliches.«
»Natürlich, Frau Lands, kommen Sie.«
»Ich denke, Sie sind ein Mensch, bei dem ich nicht lange drumherum reden muss, bei Ihnen kann ich gleich zur Sache kommen.«
»Natürlich, Frau Lands.«
»Ich muss Ihnen leider die traurige Mitteilung machen: Ihre Tochter Hannah ist tot.«
Jetzt war es gesagt! Der vielleicht schwerste Teil ihres Berufes hatte begonnen. Wie sehr hatte sie diesen Moment gefürchtet – den Augenblick, in dem sie einem Angehörigen gegenübertreten, ihm in die Augen schauen und erklären musste, dass jemand, den er geliebt hatte, tot war. Wie eine kleine Ewigkeit kam es ihr vor, bis sie diese Worte ausgesprochen hatte. Dann sah sie ihn an.
Er wirkte gefasst, aber dennoch konnte sie sich vorstellen, was jetzt in ihm vorging.
»Herr Hausmann, wir können gerne noch einen Moment sitzen bleiben, aber dann möchte ich Sie bitten, mich zu begleiten, um Ihre Tochter zu identifizieren.«
Bewusst hatte sie sentimentale Floskeln wie »Ich kann mir vorstellen, wie Sie sich jetzt fühlen« vermieden. Sie wusste nur zu gut, dass sie bei diesem direkten und gradlinigen Mann fehl am Platz waren.
Hausmann wurde es heiß. Er schluckte, wollte etwas sagen, aber er konnte nicht. Jegliche Farbe schien mit einem Schlag aus seinem Gesicht gewichen zu sein.
Sein Engel, drang es immer wieder in sein Bewusstsein. Sein bezaubernder kleiner Engel, die Einzige, die ihm noch geblieben war, war tot?
Langsam erhob er sich vom Stuhl und wirkte dabei so schwach und erschöpft wie ein alter Mann, dem jegliche Lebensenergie fehlte. Er sank in den Stuhl zurück. Ein Teil von ihm schien in diesem Augenblick gestorben zu sein.
Lea ließ ihm Zeit. Sie wusste, wie schwer das hier für ihn war. Obwohl sie selbst keine Kinder hatte, konnte sie sich gut vorstellen, wie sehr es schmerzen musste, etwas zu verlieren, das immer ein Teil des eigenen Lebens gewesen war.
Hausmann schwieg. Es fiel ihm schwer weiterzumachen, auf zustehen, wieder in die Realität zurückzufinden. Aus weiter Fer ne hörte er sich sagen, sie möge doch noch einen Augenblick warten. Er wolle nur kurz zu einem Kollegen gehen, der dann die Leitung der Tagung übernehmen würde.
Die junge Profilerin sah, wie er sich langsam erhob. Nein, das war nicht er – nur mehr ein Schatten seiner selbst.
Einige Stunden später standen sie im Institut für Rechtsmedizin, und Mayer wollte schon die Plastikhülle öffnen, unter der sich die Tote befand, als Lea den Vater mit eindringlicher Stimme beschwor: »Herr Hausmann, wir müssen Sie warnen. Es ist ein Anblick, der Sie sicher erschüttern wird. Denn hier liegt nicht Ihre Tochter – sondern die Hülle einer jungen Frau, die von einem Ungeheuer grausam aus der Blüte ihres Lebens gerissen und hingerichtet wurde. Es ist nicht Ihre Tochter, wie Sie sie kennen!«
Wie weh es ihr tat, diese Worte auszusprechen! Sie mochte diesen gefühlvollen Mann und wollte auf jeden Fall vermeiden, dass er vollkommen unvorbereitet eine derart traumatische Erfahrung durchmachen musste.
Nur kurz sah er zu ihr auf. »Es ist schon gut, Frau Lands. Ich danke Ihnen, dass Sie mich so sensibel darauf vorbereiten.«
Dann zog der Rechtsmediziner mit einem Ruck an dem Reißverschluss der Folie, die die Leiche umhüllte, und was der Vater dann sah, übertraf seine schlimmsten Befürchtungen.
Wer war das? War das wirklich seine Tochter, die hier vor ihm lag? Welches Monster konnte seinem kleinen Engel so etwas angetan haben?
Vollkommen reglos, fast wie hypnotisiert, starrte er auf Hannahs Leichnam. Diesen Anblick konnte er nur
Weitere Kostenlose Bücher