Die Lutherverschwörung - historischer Roman
Cranach fest entschlossen, »das kommt nicht in Frage.« Dabei rieb er sich das bärtige Kinn.
»Aber warum nicht?«
»Weil es nicht geht.«
Sie glaubte zu verstehen, was er meinte, obwohl er es nicht aussprach. Sie musste seine Bedenken unbedingt zerstreuen. Martha besuchte eine Schule, aber das würde sie bald nicht mehr bezahlen können. Dann würde sie sich eine Arbeit als Näherin oder Wäscherin suchen müssen â oder, falls es noch schlimmer kam, musste sie von Tür zu Tür ziehen und um Almosen betteln. Eines Tages würde man sie aus der Stadt jagen, bis schlieÃlich irgendwann die StraÃe ihr Zuhause war. Sie kannte solche Schicksale, hatte sie aus der Ferne beobachtet, mit dem sicheren und beruhigenden Gefühl, ihr selbst könne so etwas nicht passieren.
»Bin ich vielleicht zu hässlich?«
»Um Gottes willen, nein!«
»Oder gefällt dir meine Nase nicht?«
»Im Gegenteil.«
»Fehlt es mir an Talent?«
»Nein.«
»Was dann?«
»Du müsstest auch nackt Modell stehen«, sagte Cranach.
»Habe ich keine gute Figur?«
»Deine Figur wäre ideal.«
»Wo ist dann das Problem?«, fragte Anna und verschränkte die Arme vor der Brust.
Dabei wusste sie sehr genau, weshalb er sich sträubte: Barbara Cranach war bekannt dafür, dass sie den Beruf ihres Mannes mit gemischten Gefühlen betrachtete. Zwar gehörte Lucas als Hofmaler zu den Wittenberger Honoratioren und die Achtung, die man ihm und seiner Arbeit entgegenbrachte, strahlte zurück auf sein Haus, seine Familie, seine Frau; und diese Annehmlichkeiten wusste Barbara durchaus zu schätzen. Aber andererseits malte er ständig nackte Frauen ⦠es war geradezu sein Spezialgebiet. Barbara hielt ihm manchmal vor, in der Wahl seiner Themen äuÃerst erfinderisch zu sein, damit er »seiner Leidenschaft«, wie sie es nannte, frönen könnte. Gewöhnlich redete Lucas sich damit heraus, dass seine Auftraggeber das Sujet des Bildes bestimmten â und nicht er. Anna erinnerte sich noch an ein Streitgespräch in der Werkstatt.
»Warum beschränkst du dich nicht auf religiöse Themen?«, hatte Barbara laut und in Gegenwart aller Gesellen gefragt.
»Sind denn Adam und Eva etwa nicht aus der Bibel?«, hatte er entgegnet. »Aber ich wäre der Erste, der die beiden im Paradies mit Kleidern malt. Soll ich etwa Eva mit einem hochgeschlossenen Kleid zeigen, eine Perlenkette um den Hals und eine Haube auf dem Kopf wie die reichen adligen Töchter? Und Adam mit Hose, Wams und einem Tuch um den Hals? Es wäre bestimmt originell, den Beginn der Genesis so auszulegen.«
»Die Bibel besteht nicht nur aus Adam und Eva«, hatte sie gesagt. »Aber man könnte einen anderen Eindruck gewinnen, wenn man dir eine Weile bei der Arbeit zuschaut.«
»Was soll ich denn machen, wenn jemand das Bild bei mir bestellt? Ablehnen vielleicht? Dann schwimmt aber in Zukunft bei uns weniger Fleisch in der Suppe!«
»Und genau das Gleiche bei deinen mythologischen und antiken Malereien! Du hast schon ein Händchen dafür, die spannenden Themen rauszupicken! Wer hat die Venus so oft gemalt wie du? Mal mit Cupido, mal ohne. Hauptsache, du kannst sie so darstellen, wie die Natur sie geschaffen hat. Die Grazien, das Urteil des Paris, Apollo und Diana, Lucretia, Nymphen â keine weibliche Gestalt ist vor dir sicher, wenn sie dir nur Gelegenheit bietet, sämtliche Hüllen fallen zu lassen.«
An diesen Wortwechsel, der schon einige Monate zurücklag, musste Anna denken. Sicher dachte auch Cranach an diese Szene oder an ähnliche, die unter vier Augen stattgefunden haben mochten. Anna wusste, dass sie mit dem Feuer spielte â aber hatte sie eine andere Wahl?
»Das Problem ist, dass du hier bei uns im Haus lebst«, erklärte Cranach. »Die Frauen, die sonst Modell gestanden haben, waren nach wenigen Stunden oder Tagen wieder verschwunden. Und ich glaube, das war auch besser so.«
»Das mag Vorteile haben«, stimmte Anna zu, »aber ich erinnere mich, dass du manches Mal geflucht hast, weil dir auf die Schnelle niemand zur Verfügung stand. Wenn du eine plötzliche Idee hast und sie rasch umsetzen willst, damit sie nicht verfliegt â genau dann wirst du dankbar sein, ein Modell
im Haus
zu haben.«
»Das mag stimmen, es ist oft mühselig, jemanden zu finden. Aber weiÃt du
Weitere Kostenlose Bücher