Die Lutherverschwörung - historischer Roman
den Kopf und verlieà den Raum.
Jost schaute hinter ihr her, und sein Gesicht war nachdenklich. Cranach deutete auf einen Stuhl, ging um den Tisch herum, setzte sich und schob den Bierkrug zur Seite.
»Mein lieber Gessner ⦠ich darf doch so sagen â¦Â«, begann Cranach, »ich bin über Euren Auftrag informiert. Der Kurfürst selbst hat mich unterrichtet. Vielleicht ist es kein Fehler, wenn ich Euch kurz ein paar Worte zu meiner eigenen Person sage, und welche Rolle mir in dieser Angelegenheit zufällt. Wie Ihr sicher wisst, hat mich Friedrich vor vielen Jahren als Hofmaler angestellt. Im Laufe der Zeit hat sich zwischen uns ein Verhältnis entwickelt, das ich zwar nicht als freundschaftlich bezeichnen möchte â doch man kennt sich, man hat Vertrauen zueinander. Nun trifft es sich andererseits, dass Martin Luther zu meinen besten Freunden zählt. Wir stehen uns sehr nahe, und er gehört quasi zur Familie. So ist mir, ehe ich mich versah, eine Art Vermittlerrolle zugefallen. Denn Friedrich ist ein vorsichtiger Mensch und Luther ein Dickkopf ⦠kurz, zwei Charaktere, zwischen denen es leicht zu Reibungen kommt. â Ich tue also, was ich kann.«
Jost hatte die Beine übereinandergeschlagen und hörte ruhig zu. Während Cranach sprach, betrachtete er interessiert die Skizzen und Entwürfe, die auf dem Tisch lagen, und das schmale Bücherregal an der Wand hinter dem Maler.
»Nun gibt es da ein kleines Problem ⦠ach was, Problem ist zu viel gesagt ⦠ich will es anders formulieren. Wie ich schon sagte, ist Luther zwar ein wunderbarer, aber nicht immer einfacher Mensch. Seine Freiheit bedeutet ihm viel. Nicht zufällig hat er ein Buch über die Freiheit des Christenmenschen geschrieben â¦Â«
»Kurz und gut«, sagte Jost, »er hält nichts davon, dass ich ihn bewachen soll. Ist es das?« Jost brannte darauf, Luther persönlich kennenzulernen. Was Cranach erzählte, schreckte ihn in keiner Weise ab.
»Ich wollte Euch einen Rat geben«, sagte Cranach. »Auch zwischen Freunden gibt es Konflikte, und letztlich sind gerade sie es, die einen lehren, wie der andere gebaut ist. Es ist wie in einer langen Ehe: Mit der Zeit entwickelt man ein Gefühl dafür, wie weit man gehen kann und was man besser meidet.« Er legte den Kopf zur Seite und schaute ins Leere, als horche er in sich hinein. Jost hatte seine Hand auf den Tisch gelegt und klopfte mit den Fingern leise aufs Holz.
»Wie jeder Mensch«, fuhr Cranach fort, »hat er bestimmte Vorstellungen. Obwohl er als Theologe an Disputationen gewöhnt sein sollte, fällt es ihm häufig schwer, eine andere Meinung zu akzeptieren. Ihr werdet längere Zeit mit ihm auskommen müssen. Bestimmt kommt es zu Situationen, wo Ihr unterschiedliche Auffassungen habt. Ich rate Euch, ihm nicht gleich zu widersprechen. Wenn er etwas sagt oder fordert, solltet Ihr Euch in jedem Fall interessiert zeigen. Gebt ihm das Gefühl, seine Worte sehr ernst zu nehmen. Wenn es geht, betont erst die guten Seiten seines Vorschlags und streut Eure Bedenken nur ganz sachte ein. Oder Ihr wartet einen günstigen Zeitpunkt ab, am besten in geselliger Runde, wenn er schon ein Glas Wein getrunken hat oder auch zwei. Wenn er sich wohlfühlt und gut gegessen hat, ist er für vernünftige Vorschläge oft zugänglich.«
Jost musste lächeln. Seit er für den sächsischen Kurfürsten arbeitete, war sein zuvor unstetes Leben etwas ruhiger geworden, und er hatte begonnen, mehr zu lesen. Schon während seiner wilden Jahre hatte man ihn in seiner freien Zeit manchmal mit einem Buch oder einem Flugblatt gesehen. Da Söldner gewöhnlich weder schreiben noch lesen konnten, hatte ihm das Spott eingetragen; aber manchmal auch Respekt, und er hatte sich mit der Zeit zu einer Führungspersönlichkeit entwickelt. Mittlerweile hatte er die vierzig überschritten. Er blickte auf ein ereignisreiches und oft gefährliches Leben zurück, und ertappte sich häufig dabei, sehr allgemeine und grundlegende Fragen zu stellen, die sein Leben betrafen. So war er auf Luthers Schriften gestoÃen, in denen er Antworten fand. Es beruhigte ihn geradezu, von Cranach Ratschläge zu bekommen, die den Theologen von einer anderen Seite zeigten. Luther war offenbar manchmal schwierig im Umgang, ein bisschen eitel und durchaus für Schmeicheleien zugänglich â kurz: Er war auch ein ganz
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