Die Lutherverschwörung - historischer Roman
gewöhnlicher Mensch.
»Er wird zustimmen, dass Ihr ihn schützt«, sagte Cranach, »und deshalb sehe ich Situationen voraus, die Eure Interessen und seine in Konflikt bringen. Es ist dann Eure Aufgabe, vorauszuschauen und dafür zu sorgen, dass sein Leben nicht in Gefahr gerät. Er wiederum ist von seinen Ideen erfüllt und vergisst darüber seine eigene Sicherheit. Macht Euch darauf gefasst, dass es zu harten Auseinandersetzungen kommen wird. Und lasst Euch nicht abschrecken! Seid diplomatisch! Am besten versucht Ihr, seine Freundschaft zu gewinnen. Das wäre der beste Weg, um gut mit ihm auszukommen. Ihr sagt, Ihr habt manches von ihm gelesen? Sprecht ihn darauf an! Wie alle Leute, die zur Feder greifen, gibt es für ihn kein interessanteres Thema. Wenn er Euch vertraut und ins Herz schlieÃt, werdet Ihr leichtes Spiel haben!«
Die beiden Männer standen auf und gaben sich die Hand. »Danke für die Ratschläge«, sagte Jost. Als er die Kammer verlieÃ, bemerkte er noch, dass Cranach eilig nach seinem Brot griff und gierig hineinbiss. Ein Stück fettige Wurst fiel heraus und rollte über eine der Zeichnungen. Jost ging durch die Werkstatt, wo nur noch zwei Gesellen arbeiteten, von denen einer einen langen, mächtigen Bart kultivierte, wie Jost ihn sich beim Patriarchen Abraham vorstellte. Sie trugen den Hintergrund zu einem Gemälde auf und unterhielten sich dabei über die gestiegenen Getreidepreise.
Jost betrat den Innenhof des Anwesens und sah die Frau, die vorhin mit Cranach gesprochen und sich über sein Erscheinen geärgert hatte. Ein Kind war bei ihr, das mit einem groÃen, zotteligen Hund spielte; der Hund stellte sich auf die Hinterbeine und berührte mit seinen Pfoten die Schultern des Mädchens, das laut kicherte und ihm das Fell verstrubbelte. Als sie Jost bemerkten, schauten die Frau und das Mädchen zu ihm herüber. Er hatte den Eindruck, als würde die Mutter ihm am liebsten ins Gesicht springen. »Ihr seid ein Barbar!«, sagte sie laut.
Jost schüttelte den Kopf, lachte verlegen, gab aber keine Antwort. Während er davonging, hörte er das Kind fragen: »Was ist das: ein Barbar?«
K APITEL 5
Niemand in Wittenberg würde ihn kennen, denn er war seit Jahren nicht auf Reisen gewesen. Sicherheitshalber hatte er sich einen Bart wachsen lassen, und auch die Haare, in denen sich frischer Wind fing, trug er länger als sonst. Da er selten auf einem Pferd saÃ, taten ihm schon alle Knochen weh.
Wulf Kramer zahlte einem alten Mann Wegzoll und überquerte die Elbbrücke. In Ufernähe bemerkte er Eisschollen, unter denen die Strömung murmelte. Vor ihm polterten ein Pferde- und ein Ochsenkarren über die Holzbohlen. Ein Reiter kam ihm entgegen und mehrere Bauern aus der Umgebung; sie trugen leere Körbe in der Hand. Aus dem weiÃgrauen, gleichförmigen Himmel fielen hauchfeine Flocken, die auf seiner Haut schmolzen und sich langsam, aber stetig in der Kleidung festsetzten. Er trug einen Pilgermantel, eine Wollmütze und Fäustlinge.
Da sich die Dunkelheit noch nicht über das offene Land und den Fluss gesenkt hatte, stand das hinter der Brücke gelegene Tor weit offen. Wulf ritt im Dämmerlicht in die Stadt ein, ohne dass eine der Wachen ihn ansprach. Er passierte ein ärmlich wirkendes Stadtviertel mit verfallenen Häusern und Unrat in den StraÃen, der fürchterlich stank. Dann kamen stattlichere Gebäude, und schlieÃlich erreichte er den Marktplatz. Trotz der Kälte wurde an einem der Häuser gebaut; ein Fuhrwerk mit Holzlatten stand bei einem Gerüst, und drei Arbeiter entluden die Fracht. Aus dem Inneren des Gebäudes schallten Hammerschläge. Zwei Frauen schöpften Wasser am Brunnen. Ein Junge mit einem Bündel Reisig unter dem Arm bot seine Ware einem Kaufmann feil.
Wulf ritt auf einen Gasthof zu, über dessen Eingangstür eine aus Metall geformte Wildsau hing. Er lud seinen Reisesack ab und betrat den Schankraum. Drinnen war es leer bis auf einen Knecht, der den Kachelboden schrubbte. Wulf bat ihn, sich um sein Pferd zu kümmern und den Wirt zu rufen. Der Knecht verschwand; wenig später erschien eine Frau von vielleicht vierzig Jahren. Sie wischte ihre Hände an einer schmutzigen Schürze ab, die sie über einem blauen, bis zu den FüÃen reichenden Leinenkleid trug. Ob er ein Zimmer suche, wollte sie wissen, und Wulf erklärte, dass er
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