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Die Lutherverschwörung - historischer Roman

Die Lutherverschwörung - historischer Roman

Titel: Die Lutherverschwörung - historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brunnen Verlag
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zurück zu den anderen. Die ersten Gäste verabschiedeten sich. Als Anna neuen Wein brachte, war ihre Zahl auf ungefähr vierzig zusammengeschrumpft. Bei einigen zeigte der Wein bereits deutliche Wirkung. Der Apotheker hatte Nikolaus von Amsdorf den Arm um die Schulter gelegt und lallte ihm etwas ins Ohr. Die meisten Gäste aber hörten Luther zu, der von seiner Romreise erzählte. Anna ging in die Küche zurück und beobachtete von dort aus das Geschehen. Auch Barbara Cranach hatte tief in den Becher geschaut, wie ihre roten Wangen verrieten.
    Â»Ich habe Rom in jungen Jahren verklärt«, sagte Luther. »Es war für mich der heiligste Ort im Abendland. Hier hatten unzählige Märtyrer ihr Blut vergossen. Ich warf mich zu Boden, als ich die Stadt zum ersten Mal aus der Ferne sah. Doch bald kamen mir erste Zweifel …«
    Anna überschlug ihre Chancen, aber sie wollte noch ein wenig warten. Sie hoffte, dass ein kleiner Kreis um Luther zurückblieb und alle zu tief ins Glas geschaut hatten. Ihre Schläfen pochten, als sei ihr Kopf eine Hammermühle.
    Â»Es war nicht mal das weltliche Treiben der Stadtbewohner«, sagte Luther gerade, »das mich entsetzte. Die Sitten und Laster dieser Stadt glichen jenen, wie man sie überall in der Welt antrifft. Damit hätte ich mich abfinden können …«
    Irgendwann hielten sich kaum mehr als zwanzig Leute im Raum auf; es ging bereits auf Mitternacht zu. Anna beschloss, nun an Luthers Tisch zu gehen und nachzuschenken, denn alle waren von seinen Anekdoten abgelenkt. Sie griff nach dem Ledersäckchen in ihrer Rocktasche, schob es unter den umgeschlagenen Ärmel ihrer Jacke und trat ins Gastzimmer. Einzig Kerzen sorgten für Licht, sie waren heruntergebrannt, und alle Gegenstände warfen lange Schatten. Auch in Luthers Nähe standen zwei Kerzen.
    Â»Was mich entsetzte«, sagte Luther gerade und wackelte mit beiden Händen vor seinem Gesicht, sodass die Schatten seiner Finger an der weiß getünchten Wand hinter ihm wie Krallen wirkten, »war das Verhalten der Priester. Man sollte vermuten, sie seien dort gebildeter und frommer – aber das Gegenteil war der Fall. Nie habe ich erlebt, dass man die Messe so seelenlos und oberflächlich zelebrierte wie in den berühmtesten und heiligsten Kirchen Roms. Ich fragte mich, ob das überhaupt Priester waren. Hatte man die Messgewänder vielleicht Wasserträgern oder Tagelöhnern übergestreift?«
    Anna näherte sich dem Tisch. Barbara Cranach schaute auf und auch Jost Gessners Blick haftete auf ihr. »Und das Schlimmste war«, rief Luther, »was für ein schreckliches Latein die Burschen sprachen. Man stelle sich das vor: in Rom!«
    Anna füllte Cranachs Becher mit Wein, stellte ihn zurück auf den Tisch, und Lucas nickte ihr geistesabwesend zu. Barbara hob abwehrend die Hand. Gerade in diesem Moment geriet Luther in Wut und zog mit glühenden Worten über die römischen Priester her. Alle Augen richteten sich auf ihn.
    Â»Die römische Kurie ist verkommen«, wetterte Luther. »Sie ist verantwortlich für den Untergang der Stadt, die sich zu einem zweiten Babel entwickelt hat.«
    Anna, die schräg hinter Luther stand, griff nach seinem Becher und schaute flüchtig in die Runde. Sie hatte genau den richtigen Moment gewählt, alle hingen an seinen Lippen. Sie handelte wie in Trance, hielt den Krug in der linken und den Becher in der rechten Hand hinter seinem Rücken; zum Glück hatte er breite Schultern. Anna spürte keine Nervosität mehr, auch keine Angst. Sie kramte das Ledersäckchen einhändig unter ihrem Ärmel hervor und öffnete es. Schon sah sie das Pulver in Luthers Becher rieseln wie Schnee. Sie schob den winzigen Beutel zurück unter ihren Ärmel und füllte den Becher mit Wein. Das Pulver löste sich sofort auf. Sie sah ein paar Körnchen auf der Oberfläche schwimmen, aber es war höchst unwahrscheinlich, dass Luther etwas bemerken würde. Er war zu sehr mit seiner Erzählung beschäftigt.
    Das ist also der Moment in meinem Leben, der mich zur Mörderin macht, schoss es ihr durch den Kopf. Es war ganz einfach. Heute Nacht würde er sterben durch ihre Hand, und sie fühlte nichts bei dem Gedanken. Nur in den Tiefen ihres Bewusstseins schlummerte die Ahnung einer schrecklichen, unauslöschlichen Schuld, die sie bis ans Ende ihrer Tage quälen würde. Sie

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