Die Lutherverschwörung - historischer Roman
der Sturm brauste und heulte nicht länger, er klang nur noch wie ein fernes Echo in den Ohren. Der Geruch von Essen hing verlockend in Johannas Kleidung und Wulfs Magen knurrte, aber selbst der Hunger war machtlos gegen die alles überwältigende Müdigkeit, nun, da er sich in Sicherheit wusste.
Er hörte Johanna noch sagen: »Schlaf, mein Kleiner!« Dann fielen ihm die Augen zu. Als Letztes nahm er wahr, wie sie ihn mit ihren starken Armen unterfasste und hochhob; ganz leicht kam er sich vor. Roch sie nicht wie seine Mutter? Er glaubte sogar einen feuchten Kuss auf der Stirn zu spüren, dann schwand sein Bewusstsein.
Als er wieder erwachte, war es immer noch dunkel. Er lag in einem warmen und weichen Bett; wahrscheinlich das herrlichste Bett aller Zeiten. Er schloss schnell die Augen, um die Köstlichkeit des Augenblicks zu bewahren. So gut hatte er sich seit Jahrzehnten nicht gefühlt, seit er ein kleines Kind gewesen war. Wo befand er sich? Das wusste er im Moment nicht. Aber bei wem, das wusste er, bei der guten Johanna. Von wem stammte die Bezeichnung noch gleich? Richtig, der Kapitän. Nun erinnerte er sich an den Sturm und sein Glück im Unglück, aber was jenseits des Sturms lag, interessierte ihn nicht, weil er spürte, dass es unangenehm war, er verdrängte die Gedanken daran. Ein Gasthof, richtig, davon hatte der Kapitän erzählt, und eine Zollstation.
Wulf schaute sich um, er lag in einer kleinen Kammer; auf einer Kiste bei der Tür brannte eine Ãllampe, die ihren Geruch im ganzen Zimmer verbreitete und flackernde Schatten an die Wand warf. Er hörte etwas poltern, Schritte auf einer Treppe offenbar. Lag er im oberen Stock? Johanna öffnete die Tür, sie hielt eine Ãllampe in der Hand und stellte sie neben die andere: Nun warfen die Gegenstände und auch Johanna zwei Schatten, die sich teilweise überlagerten.
Sie setzte sich auf das Bett und schuf eine tiefe Kuhle, in die er hineinrutschte, nun war er ganz nah bei ihr; sie fasste mit der Hand nach seiner Stirn: »Schon besser!«
Hatte er Fieber gehabt? Er erinnerte sich nicht. Wulf schob seinen Arm unter der Decke hervor und bemerkte, dass er nackt war. Er fasste sich an den Kopf. Seine Stirn war nicht heiÃ, aber die Haare an den Schläfen verklebt. Johanna schlug die schweren Decken zur Seite â die angenehme Wärme wich sofort. Sie fasste seine Schenkel, beugte die Beine und beobachtete dabei sein Gesicht. Das rechte Knie tat ihm weh, aber der Schmerz war erträglich. Sie forderte ihn auf, die Bewegungen selbst auszuführen, und er gehorchte. Noch einmal sagte sie: »Du hast mehr Glück gehabt als Verstand!« Schnell zog er die Decken wieder über sich.
»Wie lange habe ich geschlafen?« Es waren seine ersten Worte seit langer Zeit. Die Lippen fühlten sich spröde und vertrocknet an, die Zunge klebte am Gaumen; auÃerdem hatte er einen ekelhaften Geschmack im Mund, nach Erbrochenem â obwohl er sich auch daran nicht erinnern konnte.
»Die ganze Nacht und den ganzen Tag.«
»Einen
ganzen Tag
?«
»Und geschnarcht, dass die Wände wackeln.«
»Wo ist der Kapitän?«
»Hier ist kein Kapitän, mein Kleiner.«
»Und das Schiff?«
»Was für ein Schiff? Irgendwo tief unten, fürchte ich. Wahrscheinlich hast du als Einziger überlebt.«
»Das Pferd?«
»Ist gut versorgt.« Sie legte wieder ihre Hand auf seine Stirn und nickte zufrieden.
»Ich habe Hunger«, sagte er, »und Durst.«
»Dann steh auf und komm nach unten.«
»Ich brauche etwas zum Anziehen.«
Sie stellte die zwei Ãllampen auf den staubigen Boden, öffnete die Kisten und kramte Kleidungsstücke hervor. »Das hier sind Sachen von meinem verstorbenen Mann. Wahrscheinlich passt du zweimal hinein, aber ich habe nichts Besseres â und deine Gewänder sind noch nicht trocken.«
Er stand auf, und seine Knie fühlten sich weich an, als er auf Johanna zuging. »Lass mal sehen!« Als Wulf die grauen Hosen anzog, waren sie oben so weit, dass Johanna laut lachen musste. Er biss die Zähne zusammen, denn er konnte es nicht ausstehen, wenn man sich über ihn lustig machte. Er kramte einen braunen Ledergürtel aus der Kiste und band ihn um die Hose; den Saum musste er dreimal umschlagen, damit der Stoff nicht auf dem Boden schleifte. Das ehemals hellblaue, an manchen Stellen geflickte Leinenhemd reichte ihm
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