Die Lutherverschwörung - historischer Roman
auf etwas Festes, dass es ihm vorkam, als müssten sämtliche Knochen in seinem Leib nun gebrochen sein.
Er war an Land, am Ufer! Doch schon brauste die nächste Welle heran und türmte sich gewaltig hinter ihm auf. Wenn er hier liegen blieb, würden die Wassermassen ihn zurück in den Fluss werfen. Fluss? Der Rhein kam ihm schon lange nicht mehr wie ein Fluss vor, sondern schien endlos, machtvoll und unberechenbar wie das Meer, das er jedoch nur von Erzählungen kannte. Wulf sprang auf und rannte los, fiel aber sofort wieder hin, weil ihm seine Beine nicht gehorchten. Er kroch weiter, da schlug das Wasser über ihm zusammen; in Todesangst streckte er die Arme aus und suchte nach einem Halt. Er bekam etwas zu fassen, und es gelang ihm, sich aufzurichten.
Mit letzter Kraft kroch Wulf eine Böschung hinauf. Er fürchtete, ohnmächtig zu werden. Krampfhaft zwang er sich, die Augen offen zu halten â da sah er in einiger Entfernung ein Gebäude. Das musste die Zollstation sein. Dort musste Johannas Gasthof liegen. Wulf mobilisierte seine letzten Kräfte und ging schwankend auf das Haus zu.
K APITEL 23
Er hatte wenige Schritte zurückgelegt, als er lautes Wiehern hörte. Wulf blieb wie angewurzelt stehen und drehte sich um; eines der beiden Zugpferde, ein Schimmel, kletterte flussabwärts ans Ufer. Der Anblick kam so unerwartet und wirkte so märchenhaft, dass Wulf gebannt zuschaute. Er musste an einen Bänkelsänger denken, der einmal auf einem Markt Szenen aus einer alten Sage vorgetragen hatte. Die Mähne klebte dem Tier am Hals und Wasser troff aus dem Fell. Ein Stück des abgerissenen Seils, das lose baumelte, trug das Pferd noch bei sich. Mühsam kletterte es über Steinbrocken und näherte sich Wulf. Er tätschelte ihm den Hals und fuhr ihm über die Kruppe. Das Pferd schüttelte sich, sodass ihm die Tropfen ins Gesicht spritzten, dann rieb es seine Nüstern an Wulfs Schulter. Er fasste das Seil. Nebeneinander, wie zwei alte Freunde, gingen sie auf den Gasthof zu.
Noch bevor er klopfen konnte, wurde die Tür von innen geöffnet. Sogleich erkannte er die Frau, von der der Kapitän gesprochen hatte: Johanna stand in ihrer ganzen Fülle vor ihm; über ihrer roten Jacke und dem blauen Rock leuchtete eine weiÃe Schürze. Als sie sah, dass Wulf stolperte und zu fallen drohte, packte sie ihn an der Schulter und stützte ihn. Er klammerte sich mit der linken Hand an ihre Jacke, während er mit der rechten das Seil nicht loslassen wollte.
Sie brachte ihn in den Gastraum und setzte ihn auf einen Schemel; Wulf sackte zur Seite und wäre fast heruntergekippt. Johanna nahm seinen Kopf in beide Hände und betrachtete aufmerksam sein Gesicht. »Du kannst ja kaum noch die Augen offen halten, mein Kleiner«, sagte sie. Etwas an ihr erinnerte ihn an seine Mutter, die allerdings schmal und klein gewesen war. »Du musst das nasse Zeug ausziehen, sonst holst du dir den Tod. Kannst du aufstehen?«
Wulf begriff erst jetzt, dass er an einem Tisch saÃ. Er stützte sich mit den Handflächen auf die Holzplatte und versuchte sich aufzurichten, knickte aber weg und wäre mit dem Gesicht auf das Holz geschlagen, hätte Johanna ihn nicht abgefangen.
»So geht das nicht«, sagte sie und begann, ihn im Sitzen auszuziehen. Zuerst machte sie seinen Oberkörper frei.
»Schöne neue Sachen trägst du ⦠Du musst einen guten Schneider haben.«
Wulf wollte ihr erklären, von wem die Sachen stammten. Er öffnete die Lippen, aber die Worte formten sich nicht. Sie zog ihm seine Schuhe aus und die Hosen, bis er ganz nackt war, drückte ihn hier und da und fragte, ob er das spüre und ob es wehtue. Dann schüttelte sie den Kopf. »Du hast offenbar mehr Glück gehabt als Verstand. Du hast Prellungen an den Rippen, aber es ist nichts gebrochen. Bleib sitzen! Ich bin gleich wieder da.« Sie kam mit einem groÃen Tuch zurück und rieb ihn von oben bis unten trocken. Die Kleider hatten kalt und unangenehm am Körper geklebt, erst jetzt, während sie ihn rieb, ihn mit dem rauen Stoff kratzte und seine Haut sich rötete, drang Wärme in seinen Körper. Wulf fühlte sich plötzlich geborgen, es war ein herrliches Gefühl.
Eine Kerze brannte auf dem Tisch und auf der Kommode stand eine Ãllampe; sonst war es dunkel. Das DrauÃen existierte nicht mehr, alle Geräusche hörten sich gedämpft an,
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