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Die Lutherverschwörung - historischer Roman

Die Lutherverschwörung - historischer Roman

Titel: Die Lutherverschwörung - historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brunnen Verlag
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und ihm fiel auf, dass alle Überschriften sich auf Luther bezogen. Die Frau verkaufte Luther-freundliche Pamphlete, während andere Buchführer gerade irgendwo die päpstliche Propaganda unters Volk brachten. Eine dritte Gruppe von Buchführern, so wusste Jost, scherte sich nicht um den Inhalt und verkaufte die Drucke beider Parteien, solange sie Geld einbrachten.
    Dass eine alte, gebrechliche Frau die Schriften vertrieb, war nicht ungewöhnlich, auch Kinder sah man häufiger. Der eigentliche Buchhändler blieb im Hintergrund und vertraute darauf, dass die Obrigkeit ein Auge zudrückte. Einer der Schaulustigen, ein Handwerker, hielt den Holzschnitt in die Höhe, der den Papst verunglimpfte. Er las das dazugehörige Spottgedicht vor und wurde mehrmals von lautem Lachen unterbrochen. Immer wieder deutete er mit dem Zeigefinger auf das Bild. In diesem Moment kamen drei spanische Söldner in voller Bewaffnung auf die Gruppe zu. Sie unterhielten sich in ihrer Landessprache und beachteten die Buchführerin nicht.
    Jost sah sie von weitem kommen. Er hatte in Italien gegen Spanier gekämpft und großen Respekt vor ihnen. Die drei wirkten nicht streitlustig, sondern scherzten miteinander – bis der Erste von ihnen das Bild bemerkte.
    Er blieb ruckartig stehen und hinderte mit ausgestreckten Armen seine beiden Kameraden am Weitergehen. Nun starrten alle drei auf den Papst: Die Illustration war groß genug, damit man auch von weitem sah, bei welcher Tätigkeit der Heilige Vater abgebildet wurde. Jost bemerkte in ihren Gesichtern zunächst Sprachlosigkeit, dann Entsetzen. Das Lachen innerhalb der Gruppe verstummte. Der Mann, der die Spottverse genüsslich zitiert hatte, ließ sehr langsam die Hand mit dem Blatt sinken, die Blicke der Umstehenden wanderten von ihm zu den Spaniern, in deren Augen Jost beispiellose Wut aufflackern sah. Er wusste, welchen Stellenwert der Papst für sie hatte: Sie fühlten sich in ihrem Glauben und ihrer Religion aufs Tiefste beleidigt und verletzt.
    Der Söldner, der die Illustration zuerst bemerkt hatte, zog sein Schwert und seine Kameraden folgten dem Beispiel. Die Gruppe der Schaulustigen teilte sich und gab eine Bahn frei zur Buchführerin und zum Handwerker. Die alte Frau legte ihre Hände an das mit Falten und Runzeln überzogene Gesicht und begann zu weinen und um Gnade zu flehen.
    Obwohl sich in Worms die obersten Herrscher und Richter versammelt hatten, herrschte in den Straßen der Stadt eine gewisse Anarchie. Seit Beginn des Reichstages hatte es schon mehrere Tote gegeben. Prügeleien und nächtliche Überfälle gehörten mittlerweile zum Alltag; niemand regte sich sonderlich darüber auf, nicht einmal die überforderte Obrigkeit, die sich wahrscheinlich mit dem Gedanken tröstete, dass bei einem Ereignis dieser Größe und Bedeutung ein gewisser Ausnahmezustand zur Normalität gehörte. Man sah zwar Bewaffnete durch die Gassen ziehen, um für Recht und Ordnung zu sorgen, aber wenn sie gebraucht wurden, schienen sie immer gerade woanders zu sein.
    Das wusste auch die alte Frau, die mittlerweile auf die Knie gesunken war und ihre gefalteten Hände von sich streckte, was die drei Söldner jedoch wenig beeindruckte. Der Handwerker wich einige Schritte zurück, in seinem Gesicht stand nackte Angst. Er öffnete seine Hand und das Blatt mit dem Holzschnitt schaukelte zu Boden.
    Jost überlegte, ob er eingreifen sollte, aber er war allein und die Spanier zu dritt; auf gute Worte würden sie nicht hören – vom Sprachproblem einmal abgesehen. Er beschloss also, sich aus der Sache herauszuhalten, schließlich musste er Luther schützen und durfte sich nicht auf Nebenschauplätzen verzetteln. Überall zogen Buchführer durchs Land und verbreiteten Schriften, die Streit brachten und Krieg. Wenn er sich in jeden Konflikt einmischen wollte, hätte er viel zu tun. Die Welt ließ sich ohnehin nicht ändern, sie war ein Chaos. Warum zog er also sein Schwert und trat den Söldnern in den Weg, während er sich selbst als hoffnungslosen Fall verfluchte? »Keinen Schritt weiter!«
    Die Spanier, sichtlich überrascht, zögerten. Es gab so etwas wie eine Söldnerehre, eine unausgesprochene Bruderschaft, unabhängig von der Nation. Die Fronten und Koalitionen wechselten ständig, und dein Feind von heute konnte morgen dein Freund sein. Außerdem sahen die Spanier an Josts

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