Die Lutherverschwörung - historischer Roman
Kleidung, dass er Hauptmann war und im Rang über ihnen stand. Der groà gewachsene, stämmige Anführer der Dreiergruppe, über dessen rechte Wange sich eine tiefe Narbe zog, bedeutete Jost mit einer resoluten, aber wohlmeinenden Handbewegung, zur Seite zu treten und sich aus der Sache herauszuhalten.
In diesem Moment drehte sich der Handwerker um und rannte los, was das Zeug hielt. Zwei Spanier verfolgten ihn, während der dritte, jener mit der Narbe, zurückblieb und die alte Frau ins Auge fasste. Ungeduldig befahl er Jost â der zwar kein spanisch sprach, aber jedes Wort zu verstehen glaubte â, sich endlich aus dem Weg zu machen. Die Buchführerin lag immer noch auf den Knien und flehte um Hilfe. Jost rührte sich nicht vom Fleck, woraufhin der Spanier das Schwert hob und auf ihn losging. Warum riskierte er nur sein Leben für eine Frau, die er nie zuvor gesehen hatte? Vielleicht, weil ihm ein Bild von Anna und Martha durch den Kopf geschossen war. Er parierte den Schwerthieb.
Die Gruppe von Männern, die vorhin bei der Buchführerin gestanden hatte, postierte sich in sicherer Entfernung. Bald kamen neue Schaulustige und riefen Jost Ratschläge zu.
Schon bald spürte er, dass etwas nicht stimmte und dass er sich noch nie in so groÃer Gefahr befunden hatte. Das lag nicht an seinem Gegner, sondern an ihm selbst. Es war, als habe er das Kämpfen verlernt. Da war keine Wut, kein unbedingter Wille zu siegen, jene Eigenschaften, die ihm immer wieder halfen, seine Haut zu retten und selbst in schwierigsten Situationen noch einmal den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Er kämpfte, obwohl er nicht kämpfen wollte, und das machte ihn anfällig und verwundbar.
Jost war immer in der Defensive, immer war es sein Gegner, der die Initiative ergriff, der angriff, während Jost sich darauf beschränkte, die Hiebe abzuwehren. Lange würde er sich nicht mehr halten können, aber er fand keinen Ausweg. Seine Arme wurden schwächer, und immer noch wich er zurück, bis endlich ein Stoà des Spaniers ins Leere ging. Jost blieb keine Wahl, eine zweite Chance würde sich ihm nicht mehr bieten. Mit dem letzten Rest an Kraft, der ihm verblieb, ging er â zum ersten Mal in diesem Kampf â zum Angriff über. Sein Schwert durchdrang den leichten Schutzpanzer des Spaniers, dieser schrie auf und starrte ihn aus weit geöffneten Augen an. Ein Blick, den Jost gut, nur zu gut kannte.
Ein Gefühl von Ekel stieg in ihm auf, so stark, das es seinen ganzen Körper durchdrang. Der ewige Kampf, das ewige Töten! Es war so unnötig und sinnlos â und er hatte fast sein ganzes Leben damit vergeudet.
K APITEL 28
Anna schlenderte durch die Gassen von Worms und hoffte, dabei zufällig Jost zu treffen. Sie hatte etwas Vergleichbares wie den Reichstag noch nie erlebt. Was für eine kleine Stadt war Wittenberg dagegen! Sie staunte über die Pracht und Vielfalt der Kleidung; jeder Fürst hatte seinen Hofstaat mitgebracht, teilweise mehrere hundert Begleiter. Da sich in der Kleidung der Status spiegelte, sparte man nicht an feinen Stoffen. Die Männer von Rang putzten sich heraus wie Pfauen.
Anna sah eine Gruppe von Schaustellern, die ein Stück aufführten. Neugierig blieb sie stehen. Einer der Spieler trug den Text vor, während drei weitere ihn pantomimisch begleiteten. Erst nach einer Weile begriff Anna, dass sie Szenen aus der berühmten Nibelungensage vortrugen und nachspielten. Siegfried wand sich gerade am Boden, von Hagens Speer durchbohrt, sie legten ihn auf eine Bahre und trugen ihn davon, danach erschien eine Frau.
»An diesem Tag aber«, sagte der Rezitator, »schwor Kriemhild Rache.«
Die Schauspielerin raufte sich ihr blondes, lockiges Haar, bis es wirr und wütend in alle Richtungen stand; ihre Verzweiflung wirkte so echt, dass Anna eine Gänsehaut bekam.
»Rache schwor Kriemhild und ein inneres Feuer verzehrte sie â so wie einst die griechische Zauberin und Königstochter Medea.«
Die Medea-Sage kannte Anna von ihrem Vater. Er hatte sie ihr einst aus den âMetamorphosenâ des römischen Dichters Ovid vorgetragen.
»So stark war Kriemhilds Wunsch nach Rache«, fuhr der Rezitator in seinem Singsang fort, »dass viele Jahre ins Land zogen, ohne ihn zu löschen. Und um mächtig zu sein, heiratete sie einen König. Der sollte ihr helfen, Hagen zu töten, Siegfrieds Mörder.«
Einer
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