Die Lutherverschwörung - historischer Roman
kurz. Wie viel durfte sie verraten? Aber diese Frau war eine Anhängerin von Luther. »Er war schon bei uns zu Gast.«
»Was für eine Ãberraschung!« Die Frau streckte Anna die Hand entgegen; ihr Händedruck war angenehm. »Ich würde Euch gern näher kennenlernen.«
Der Buchhändler kam mit Papierbögen zurück, die diskret in einem Fach unter der Ladentheke verschwanden; nachdem er nochmals zur Tür geschaut hatte, zog er eine schmale Schrift hervor, fasste sie oben und unten mit Daumen und Zeigefinger an und hielt sie den Frauen entgegen.
»Von der Freiheit eines Christenmenschen«, sagte er.
»Ich habe davon gehört. Was ist der Inhalt dieser Schrift?«, fragte Brangenbergs Geliebte.
»Luther stellt ein Paradoxon auf, gleich zu Anfang, und beruft sich dabei auf Paulus. Erstens sagt er: Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Dem stellt einen anderen Satz gegenüber, der scheinbar das Gegenteil behauptet: Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.«
»Wie bekommt er das unter einen Hut?«, fragte Anna.
»Indem er davon ausgeht, dass der Mensch zweierlei Natur ist, geistlicher und leiblicher. Der Körper ist gebunden durch Begierde und unterliegt den Geboten und Gesetzen Gottes, die dem Alten Testament angehören und uns bewusst machen, dass wir in Sünde leben â und das ist der unfreie Teil des Menschen. Der freie Teil entspringt dem Evangelium, also Gottes Wort, und beruht allein auf dem Glauben. Die guten Werke soll der Mensch freiwillig tun, um Gott zu gefallen, denn gerechtfertigt wird er nur durch den Glauben: Sola fide!«
Brangenbergs Geliebte kaufte die Schrift. Anna fragte sich, weshalb sie Luthers Bücher las. Die beiden verlieÃen den Laden und traten ins Freie, wo der Himmel sich zwischenzeitlich zugezogen hatte. Es begann zu regnen, zunächst ein paar Tropfen nur, dann prasselte es heftig. Die beiden Frauen flüchteten sich in eine kleine menschenleere Klosterkirche und setzten sich auf eine Bank mit Blick zum Altar. Dort brannten Kerzen und es war angenehm ruhig; der Lärm der Stadt blieb ausgesperrt, bis auf die gedämpften Schreie eines Fuhrmannes. Das trübe Regenlicht schluckte die Farben der Glasmalereien und in den Geruch von Weihrauch mischte sich der frischere von Dung und Regen, der durch ein offenes Fenster hereindrang.
»Ich heiÃe Jutta«, sagte die Frau, »und ich möchte von Euch mehr über Luther erfahren, denn Ihr seid ihm schon begegnet. Ist er wirklich so schlimm, wie man sagt?«
»Für mich ist er in erster Linie ein Mönch, und in meinen Augen ist er weder ein Unhold, wie die eine Seite, noch ein Heiliger, wie die andere behauptet. â Ist es das erste Mal, dass Ihr eine Schrift von ihm kauft?«
»Ja, denn ich möchte mir ein eigenes Bild machen. Ich bewundere seinen Mut: Er weiÃ, dass man ihm nach dem Leben trachtet, und kommt trotzdem nach Worms.«
»Wer trachtet ihm nach dem Leben?«, fragte Anna.
»Der Papst, der Kaiser, Fürsten â eine lange Liste!«
»Auch Bischöfe?«
Nun wurde Anna schärfer ins Auge gefasst. »So sagt man.«
»Ihr scheint gut unterrichtet zu sein, Jutta.«
»Vielleicht wisst Ihr mehr als ich. Wie ist Euer Name?«
»Ich heiÃe Anna und lebe im Haus von Lucas Cranach, dem Maler.« Anna wusste, dass sie mit dem Feuer spielte, aber ihr ging die Frage nicht aus dem Kopf, weshalb diese Frau sich für Luthers Schriften interessierte. Stimmte es tatsächlich, dass sie seinen Mut bewunderte?
»Ich habe von Cranach gehört und einmal â glaube ich â sah ich ein Bild von ihm: eine Venus. Ihr Schleier war feiner als Spinnweb â und durchsichtiger.«
»Dann war das Bild bestimmt von Lucas.«
»Und Luther verkehrt also in seinem Haus?«
»Die beiden sind gute Freunde. â Weshalb interessiert Ihr Euch so sehr für Luther?«
»Gegenfrage: Wer interessiert sich nicht für ihn?«
»Aber Euer Interesse scheint mir sehr ausgeprägt zu sein.«
»Wie kommt Ihr darauf?«
»Nun, man könnte den Eindruck gewinnen, als wärt Ihr von seinem Schicksal in irgendeiner Weise persönlich betroffen«, sagte Anna.
»Vielleicht bin ich es.«
»Das klingt geheimnisvoll.«
Jutta schien nachzudenken. »Mein Mann und seine Freunde sind Gegner Luthers, sie
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