Die Lutherverschwörung - historischer Roman
Sache anders aus.
»Was tragt Ihr da bei Euch?«
Wulf blickte über seine Schulter und natürlich war der Sack ausgebeult von der Armbrust, deren Form man aber nicht erkennen konnte, denn Wulf hatte sie mit Stoff umwickelt. Er suchte in seinem übermüdeten Hirn nach einer überzeugenden Antwort, doch leider vergebens.
»Am liebsten würdet Ihr wohl einen Blick hineinwerfen«, sagte er und ärgerte sich über seine Einfallslosigkeit mehr als über den Alten.
Wladislaw strahlte über das ganze Gesicht. Dieses Lächeln, fiel Wulf auf, zeigte sich immer dann, wenn es ihm gelang, jemanden aus der Reserve zu locken. Schlafmangel war teuflisch, man geriet in einen Zustand, der mit einem Rausch vergleichbar war, gab die falschen Antworten und brachte sich unnötig in Schwierigkeiten.
»Ich muss weiter«, sagte Wulf.
Wladislaw gab die Treppe nicht frei. »Gefällt Euch der Reichstag? Hier kann man die Feste feiern, wie sie fallen, ist es nicht so?«
Wulf schaute nicht gern zu anderen auf, und Wladislaw, obwohl er gebeugt und auf einen Stock gestützt stand, war ein groÃer Mann. »Worauf wollt Ihr hinaus?«
»Ihr seid erst am Morgen ins Haus zurückgekehrt â mit diesem Sack auf dem Rücken.«
Hatte der Alte ihm aufgelauert? »Ich habe mich ein wenig vergnügt«, erwiderte Wulf. »Und was den Sack betrifft: Er enthält etwas Wertvolles, deshalb trage ich ihn immer bei mir.«
»Das ist verständlich, so würde ich es auch machen.«
»Lasst mich jetzt vorbei, ich habe zu tun.«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass Ihr den Sack bei Euch hattet, als Ihr ankamt.« Der Alte wurde langsam lästig.
»Ich vertraute ihn einem Freund an â wie auch mein Pferd.«
»Das war klug von Euch. Wie heiÃt es im Sprichwort so treffend: Glücklich der Mann, der auf Freunde zählen kann!«
»Und der Psalmist«, erwiderte Wulf, »spricht Folgendes: Wir bringen unsere Tage zu wie ein Geschwätz.«
»Wie wahr! Verzeiht einem alten Mann.« Wladislaw trat zur Seite, Wulf ging an ihm vorbei, stieg die Treppe hinunter und verlieà das Haus. Er war unzufrieden mit sich, hätte sich besser auf eine solche Situation vorbereiten müssen. Der Alte misstraute ihm, so viel war klar. Sie würden sich von nun an scharf im Auge behalten.
Wulf vermied es, den Marktplatz zu überqueren, wo mittlerweile alle Stände aufgebaut waren und Gedränge herrschte. Abgeordnete strömten aus verschiedenen Richtungen zum Sitzungssaal des Reichstages im Bischofshof, geistliche und weltliche Fürsten, prächtig gekleidet, Vertreter der freien Reichsstädte, viele in Begleitung von Söldnern, darunter auch Spanier. Er wählte nicht den direkten Weg zum Rheintor, sondern folgte der fast menschenleeren Gasse, in der sich die Unterkünfte der Wollweber befanden. Eine Frau entfernte mit einer kleinen Schaufel Kothaufen, die vor ihrer Tür lagen; an einem der Häuser arbeiteten Dachdecker, und drei Mädchen spielten Seilhüpfen. Die Hauswirtin hatte ihm erzählt, dass das Textilgewerbe in der Stadt einst eine wichtige Rolle spielte. In den letzten Jahren habe sich das zwar geändert, aber durch den Reichstag erhoffe man neuen Aufschwung. Wulf sah durch ein offen stehendes Fenster, in dem sich blitzend die Sonne spiegelte, eine Frau am Webstuhl sitzen; sie trug ein blaues Kopftuch und summte ein Lied. Beim Brunnen am Fischmarkt standen Frauen mit ihren Krügen. Wulf beschloss, auch um diesen Platz einen Bogen zu machen â da entdeckte er Hanna.
Er blieb stehen: All die Tage, seit er aus Wittenberg geflohen war, hatte er an sie denken müssen, selbst während des Sturms hatte er dieses Hirngespinst nicht aus seinem Kopf vertreiben können. Was war das Besondere an ihr? Hanna war nicht allein, sondern eine der Frauen aus dem Badehaus stand bei ihr, die Magere. Sie trugen Krüge bei sich und warteten, dass sie an die Reihe kämen. Während sie sich unterhielten, legte Hanna den Kopf in den Nacken; er hörte ihr Lachen.
Neben dem Brunnen lagen die Eingeweide von Fischen. Der ganze Platz roch danach. Die beiden Frauen kamen an die Reihe, zogen an der Seilwinde und füllten ihre Krüge mit einem Eimer. Wulf war bei einem Haus stehen geblieben, wo drei Fischer ihre Netze zum Trocknen ausspannten; an der Hauswand standen Holzkisten mit ihrem Fang, darunter Forellen, Karpfen und Aale. Hanna
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