Die Lutherverschwörung
unterhalten.«
Anna biss die Zähne aufeinander. Fast hätte sie Cranach so weit gehabt! Er hatte zwar noch ein wenig gezögert, aber sie war sich sicher gewesen, ihn um den Finger zu wickeln, wenn sie hartnäckig blieb. Warum musste dieser Kerl genau in dem Moment zur Tür hereinkommen? Und jetzt versuchte er sogar, sie hinauszuwerfen! Sie schaute ihm ins Gesicht und ließ ihren Blick langsam an ihm hinuntergleiten. Dabei fielen ihr ein Messer auf, das er am Gürtel trug, und seine schmutzigen Stiefel.
»Was für ein ausgesucht höflicher Mensch Ihr doch seid!«, fauchte sie.
Jost öffnete überrascht den Mund und wandte ihr den Kopf zu, während sie herausfordernd seinen Blick erwiderte. »Aber ich sollte vielleicht meine Zunge hüten, denn schließlich seid Ihr bewaffnet.«
»Ich habe mich noch nie an einer Frau vergriffen«, erwiderte Jost naiv.
»Ihr wollt ein Gespräch unter vier Augen«, sagte Anna, »aber es scheint Euch nicht aufzufallen, dass Ihr uns gerade bei einem solchen stört.«
»Mir kommen die Tränen.« Jost wandte sich an Cranach. »Meister Lucas, wenn Ihr möchtet, dass ich gehe …«
»Anna, ich werde mir die Sache durch den Kopf gehen lassen«, sagte Cranach. Obwohl er sich bemühte, freundlich zu bleiben, klang seine Stimme verärgert. »Ich verspreche dir: Sobald ich zu einer Entscheidung gekommen bin, lasse ich es dich wissen.«
Anna senkte den Kopf und verließ den Raum.
Jost schaute hinter ihr her, und sein Gesicht war nachdenklich. Cranach deutete auf einen Stuhl, ging um den Tisch herum, setzte sich und schob den Bierkrug zur Seite.
»Mein lieber Gessner … ich darf doch so sagen …«, begann Cranach, »ich bin über Euren Auftrag informiert. Der Kurfürst selbst hat mich unterrichtet. Vielleicht ist es kein Fehler, wenn ich Euch kurz ein paar Worte zu meiner eigenen Person sage, und welche Rolle mir in dieser Angelegenheit zufällt. Wie Ihr sicher wisst, hat mich Friedrich vor vielen Jahren als Hofmaler angestellt. Im Laufe der Zeit hat sich zwischen uns ein Verhältnis entwickelt, das ich zwar nicht als freundschaftlich bezeichnen möchte – doch man kennt sich, man hat Vertrauen zueinander. Nun trifft es sich andererseits, dass Martin Luther zu meinen besten Freunden zählt. Wir stehen uns sehr nahe, und er gehört quasi zur Familie. So ist mir, ehe ich mich versah, eine Art Vermittlerrolle zugefallen. Denn Friedrich ist ein vorsichtiger Mensch und Luther ein Dickkopf … kurz, zwei Charaktere, zwischen denen es leicht zu Reibungen kommt. – Ich tue also, was ich kann.«
Jost hatte die Beine übereinandergeschlagen und hörte ruhig zu. Während Cranach sprach, betrachtete er interessiert die Skizzen und Entwürfe, die auf dem Tisch lagen, und das schmale Bücherregal an der Wand hinter dem Maler.
»Nun gibt es da ein kleines Problem … ach was, Problem ist zu viel gesagt … ich will es anders formulieren. Wie ich schon sagte, ist Luther zwar ein wunderbarer, aber nicht immer einfacher Mensch. Seine Freiheit bedeutet ihm viel. Nicht zufällig hat er ein Buch über die Freiheit des Christenmenschen geschrieben …«
»Kurz und gut«, sagte Jost, »er hält nichts davon, dass ich ihn bewachen soll. Ist es das?« Jost brannte darauf, Luther persönlich kennenzulernen. Was Cranach erzählte, schreckte ihn in keiner Weise ab.
»Ich wollte Euch einen Rat geben«, sagte Cranach. »Auch zwischen Freunden gibt es Konflikte, und letztlich sind gerade sie es, die einen lehren, wie der andere gebaut ist. Es ist wie in einer langen Ehe: Mit der Zeit entwickelt man ein Gefühl dafür, wie weit man gehen kann und was man besser meidet.« Er legte den Kopf zur Seite und schaute ins Leere, als horche er in sich hinein. Jost hatte seine Hand auf den Tisch gelegt und klopfte mit den Fingern leise aufs Holz.
»Wie jeder Mensch«, fuhr Cranach fort, »hat er bestimmte Vorstellungen. Obwohl er als Theologe an Disputationen gewöhnt sein sollte, fällt es ihm häufig schwer, eine andere Meinung zu akzeptieren. Ihr werdet längere Zeit mit ihm auskommen müssen. Bestimmt kommt es zu Situationen, wo Ihr unterschiedliche Auffassungen habt. Ich rate Euch, ihm nicht gleich zu widersprechen. Wenn er etwas sagt oder fordert, solltet Ihr Euch in jedem Fall interessiert zeigen. Gebt ihm das Gefühl, seine Worte sehr ernst zu nehmen. Wenn es geht, betont erst die guten Seiten seines Vorschlags und streut Eure Bedenken nur ganz sachte ein. Oder Ihr wartet einen günstigen Zeitpunkt ab, am besten in
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