Die Lutherverschwörung
»Aber man könnte einen anderen Eindruck gewinnen, wenn man dir eine Weile bei der Arbeit zuschaut.«
»Was soll ich denn machen, wenn jemand das Bild bei mir bestellt? Ablehnen vielleicht? Dann schwimmt aber in Zukunft bei uns weniger Fleisch in der Suppe!«
»Und genau das Gleiche bei deinen mythologischen und antiken Malereien! Du hast schon ein Händchen dafür, die spannenden Themen rauszupicken! Wer hat die Venus so oft gemalt wie du? Mal mit Cupido, mal ohne. Hauptsache, du kannst sie so darstellen, wie die Natur sie geschaffen hat. Die Grazien, das Urteil des Paris, Apollo und Diana, Lucretia, Nymphen – keine weibliche Gestalt ist vor dir sicher, wenn sie dir nur Gelegenheit bietet, sämtliche Hüllen fallen zu lassen.«
An diesen Wortwechsel, der schon einige Monate zurücklag, musste Anna denken. Sicher dachte auch Cranach an diese Szene oder an ähnliche, die unter vier Augen stattgefunden haben mochten. Anna wusste, dass sie mit dem Feuer spielte – aber hatte sie eine andere Wahl?
»Das Problem ist, dass du hier bei uns im Haus lebst«, erklärte Cranach. »Die Frauen, die sonst Modell gestanden haben, waren nach wenigen Stunden oder Tagen wieder verschwunden. Und ich glaube, das war auch besser so.«
»Das mag Vorteile haben«, stimmte Anna zu, »aber ich erinnere mich, dass du manches Mal geflucht hast, weil dir auf die Schnelle niemand zur Verfügung stand. Wenn du eine plötzliche Idee hast und sie rasch umsetzen willst, damit sie nicht verfliegt – genau dann wirst du dankbar sein, ein Modell im Haus zu haben.«
»Das mag stimmen, es ist oft mühselig, jemanden zu finden. Aber weißt du … um die Wahrheit zu sagen … Na gut, an Barbaras Stelle würde ich wahrscheinlich genauso reagieren. Sie kann nicht verstehen, dass es sich um meinen Beruf handelt und dass ich den Körper einer Frau mit den Augen des Malers betrachte – ohne Begier, ihn zu besitzen. Vielleicht so ähnlich, wie ein Arzt den Körper einer Frau betrachtet und untersucht, weil sein Beruf das fordert. Aber wie soll ich ihr das verständlich machen?«
Anna fragte sich, ob er die Wahrheit sagte. Es mochte stimmen, dass er seine Frau nicht betrog. Sie hatte jedenfalls noch keine Gerüchte gehört, die in diese Richtung gingen, und das war schon allerhand. Vielleicht war er tatsächlich der Ehrenmann, als der er gemeinhin galt. Aber konnte er seine Modelle wirklich völlig losgelöst von seinen Gefühlen als Mann betrachten? Kam niemals der Wunsch in ihm auf, sie zu berühren oder gar bei ihnen zu liegen? Hatte er sich wirklich so weit in der Gewalt, dass er nicht einmal daran dachte oder es sich wünschte? Anna verstand Barbaras Bedenken, aber in ihrer Lage konnte sie sich so viel Rücksicht nicht erlauben.
»Lucas«, sagte sie, »willst du dir von deiner Frau vorschreiben lassen, was du zu tun und zu lassen hast?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Barbara deinen Vorschlag akzeptiert. Außerdem würde es Gerede geben!«
»Deine Frau … das Gerede der Leute … Warum die faulen Kompromisse? Sprich ein Machtwort!«
Sie spürte, dass sie mit dieser Bemerkung einen wunden Punkt berührt hatte, denn er zögerte – und sagte schließlich: »Nun gut, ich denke darüber nach.«
»Warum willst du die Entscheidung auf die lange Bank schieben? Hast du Angst vor Barbara? Wer ist hier der Herr im Haus?« Anna kam sich schäbig vor, wie sie taktierte. Aber es ging nicht um sie, sondern um Martha. Sie hatte bereits Pläne, die über das Modellstehen hinausgingen – und nun hing alles davon ab, dass ihr der erste Schritt gelang. Wenn sie erst einmal den Fuß in der Tür hatte …
Stimmen und Schritte wurden hörbar. Barbara Cranach – als habe sie geahnt, dass man von ihr sprach – öffnete die Tür zur Kammer. Ihr auf dem Fuß folgte ein Mann, der hager aussah und müde Augen hatte. Anna kannte ihn nicht, obwohl es ihr so vorkam, als hätte sie sein Gesicht schon einmal gesehen … irgendwo … irgendwann.
»Dieser Mann heißt Jost Gessner.« Barbara wandte sich an ihren Mann: »Er sagt, ihr seid verabredet.«
»Das ist richtig.«
»Und auch ich habe später noch etwas mit dir zu besprechen, Lucas.«
»Sobald ich Zeit habe.«
Im Davongehen warf Barbara aus den Augenwinkeln Anna einen misstrauischen Blick zu.
Jost begrüßte Cranach mit Handschlag und nickte Anna kurz zu. »Der Fürst sagte, ich solle mich bei Euch melden.«
»Es geht um Luther«, erwiderte Cranach.
»Dann sollten wir uns besser unter vier Augen
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