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Die Lutherverschwörung

Die Lutherverschwörung

Titel: Die Lutherverschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Born
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sich mehrmals mit dem Ärmel über sein Gesicht – und blieb sitzen. Die junge Frau nutzte die Gelegenheit, um schleunigst zu verschwinden, und die Gespräche kamen wieder in Gang.
    »Bruder Martin, steck das Buch weg und trink«, sagte Brangenberg zu dem lesenden Mönch. »Du verdirbst dir noch die Augen.«
    Der Angesprochene klappte das Buch zu. »Manchmal fällt es mir schwer, das alles zu glauben.«
    »Was zu glauben? Was hast du gelesen?«
    »Eine Heiligenvita.«
    »Lieber Bruder, muss ich fürchten, dass du zum Ketzer wirst?« Der Mönch mit dem Buch lächelte, dann wanderte sein Blick ins Leere.
    Brangenberg und seine Begleiter sprachen nun über das Programm für den nächsten Tag. Währenddessen merkte sich Wulf genau die Namen der Kirchen und heiligen Stätten, die sie aufsuchen wollten. Eine Wallfahrt zum Kolosseum war für den Nachmittag geplant, im Andenken an die Märtyrer, die dort für ihren Glauben starben; dann, vor Einbruch der Dunkelheit, würden sie zum Pantheon pilgern – der alte Tempel diente heute als Kirche und demonstrierte den Sieg des Christentums über die römischen Götter.
    Als Wulf kurz davor stand, seinen Platz am Fenster zu verlassen und aufzugeben (die Stimmen in seinem Kopf wollten nicht schweigen, er glaubte die Jungfrau Maria zu hören), erschienen die Pilger doch noch. Vorneweg schritt der alte Brangenberg.
    Er hatte nie zuvor einen Menschen getötet. Plötzlich kamen ihm Zweifel, ob er überhaupt dazu fähig wäre. Er rief sich ins Gedächtnis, dass niemand ein Ziel mit der Armbrust so sicher traf wie er … dass er stets alle Wettbewerbe im Schützenverein gewann. Nach seinem Geheimrezept gefragt, lächelte er immer nur, denn er wusste die Antwort selbst nicht! Wie soll man eine Gabe erklären? Man hat sie, oder man hat sie nicht. Sie war da, wie ein Geschenk, er musste sie nur trainieren und vervollkommnen. Bestimmt hatte es damit zu tun, dass Wulf die Waffen selbst herstellte. Es gab einige Kniffe, die seine Geräte präziser machten als die der anderen. Jeder Arbeitsschritt erforderte Konzentration und Hingabe. Sein Lehrer war selbst kein guter Schütze gewesen, aber durch hartnäckiges Üben hatte Wulf erreicht, dass er auch auf diesem Gebiet der Beste war.
    Nun nahm er die Armbrust und legte sie auf das Fensterbrett. Brangenbergs Gruppe und die Augustinermönche hatten sich zusammengeschlossen; jener Mönch, der gestern in einem Buch gelesen hatte, lief neben dem Adligen, und die beiden unterhielten sich. Wulf wollte noch ein wenig warten, bis Brangenberg näher herankam, sodass er ihn nicht seitlich, sondern frontal vor sich hatte. Seine Hände waren nun ganz ruhig.
    Er konnte hier oben sogar verstehen, worüber die beiden sprachen. Der Mönch sagte: »Die Beziehung zwischen Vater und Sohn ist oft schwierig und von Missverständnissen geprägt.«
    »Das weiß ich«, erwiderte Brangenberg, »aber wovon ich spreche, das geht über die normalen Reibereien zwischen den Generationen hinaus.«
    »Inwiefern?«, fragte der Mönch.
    »Josef ist ein missratener Sohn. Ich habe ihm die beste Ausbildung zukommen lassen, und mit ein wenig Geduld könnte er es weit bringen. Glaubt mir, Bruder Martin, ich habe mich ein Leben lang gequält, um meiner Familie den Wohlstand zu erarbeiten, den wir heute besitzen. Aber er denkt, ihm müsse alles in den Schoß fallen …«
    Jetzt gleich, dachte Wulf.
    Hinter Brangenberg folgten einige Mönche und die Söldner. Er musste jetzt so genau treffen wie bei den Wettbewerben, allerdings zielte er nicht auf eine ruhende Scheibe, sondern auf ein Ziel, das sich bewegte. Ein lebendes Ziel.
    »Mein Sohn will Bischof werden«, fuhr der alte Brangenberg fort, »und er will sich das Amt erkaufen.«
    »Das ist nicht ungewöhnlich«, sagte der Mönch. »Das Bischofsamt wird fast immer von reichen Adelsfamilien erkauft … nicht, dass ich das gutheiße!«
    »Ich wäre auch bereit, ihn zu gegebener Zeit zu unterstützen, aber er ist noch jung. Er muss warten lernen, und ich weiß nicht, wie ich ihm das klarmachen kann. Manchmal glaube ich, er hasst mich.«
    Plötzlich spürte Wulf wieder das Zittern in seinen Händen. Es war wie eine Attacke, diese plötzliche Angst so kurz vor dem Ziel. Ein Schweißtropfen lief ihm über die Stirn und kitzelte unangenehm im Augenwinkel, aber er konnte ihn nicht wegwischen – gleich hatte er die Chance verpasst. Er ist ein Ketzer, redete er sich ein, er leugnet die Heiligen und damit auch die Schwarze Jungfrau, die mir

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