Die Lutherverschwörung
ersten Mal in das Gespräch einmischte, »dass er es vielleicht mit der Angst zu tun bekommt, wenn er vor dem Kaiser steht – und dann einen Rückzieher macht?«
»Nach allem, was man so hört, bezweifle ich das. Er soll ein furchtbarer Starrkopf sein«, sagte Glapion.
Der Kaiser ergriff das Wort. Die deutschen Verhältnisse waren ihm noch immer fremd. »Welche Ziele verfolgt dieser Mann eigentlich?«, erkundigte er sich. »Will er eine neue Kirche gründen?«
»Er will die alte Ordnung zerstören«, sagte Aleander. »Nur wenn Ihr ihn vorladet, Kaiserliche Majestät, werden wir ihn kleinbekommen. Wir müssen ihn dazu bringen, dass er entweder widerruft oder hier in Worms auf dem Scheiterhaufen landet.«
»Der Mann mag ein Ketzer sein«, erwiderte Gattinara, »aber er ist kein Dummkopf. Ich habe in seinen Schriften gelesen, sie enthalten Irrlehren, aber sie zeugen von hoher Bildung. Er ist Theologe durch und durch. Wenn er durchschaut, was ihm bevorsteht, wird er nicht kommen. Warum sollte er grundlos Selbstmord begehen?«
»Das sehe ich genauso«, stimmte Aleander zu. »Und deshalb sollten wir ihn zwar zum Reichstag laden, ihn aber im Unklaren darüber lassen, was ihm hier bevorsteht. Lassen wir ihn doch in dem Glauben, er könne mit uns über seine Schriften diskutieren. Denn er ist von ganzem Herzen Theologe, und diese lieben das Disputieren. Auf Disputationen hat er sich schon früher eingelassen, so in Leipzig, als er gegen Johannes Eck antrat. Wenn er erst vor Eurer Kaiserlichen Majestät steht, erfährt er noch früh genug, was die Stunde geschlagen hat. Denn natürlich werden wir nicht mit ihm diskutieren, sondern ihn einfach unmissverständlich auffordern, seine Schriften zu widerrufen. Haben wir ihn erst so weit, dann steht er zwischen Szylla und Charybdis und ist verloren! Widerruft er, werden sich seine Anhänger von ihm abwenden. Beharrt er auf seinen Irrtümern, können wir ihn an Ort und Stelle als Ketzer zur Rechenschaft ziehen …«
KAPITEL 13
Anna verbrachte eine unruhige Nacht und fand kaum Schlaf. Ihr Gehirn arbeitete fieberhaft. Wie sollten ihre nächsten Schritte aussehen? Sie spielte so viele Möglichkeiten durch, bis sie nicht mehr wusste, wo ihr der Kopf stand. Gegen Morgen schlief sie ein, und es war schon lange hell, als sie erwachte. Sie sah nun etwas klarer.
Das Gespräch mit Zainer wollte sie für sich behalten. Weder Lucas noch sonst jemand sollte davon erfahren, sie musste allein damit fertig werden. Schließlich durfte sie Marthas Leben unter keinen Umständen gefährden. Aber Zainers Forderung würde sie nicht erfüllen! Die Frage war höchstens, ob sie zum Schein darauf eingehen sollte. Sie hatte, als er bei ihr war, weder Ja noch Nein gesagt. Der Gedanke, Luther zu töten, kam ihr völlig abwegig vor.
Zunächst musste sie Zeit gewinnen. Hielt er Martha in Wittenberg versteckt – oder hatte er sie an einen anderen Ort verschleppt? Ob es wohl einen Helfer gab, einen verborgenen Auftraggeber? Lebte Martha überhaupt noch? Dies war die schlimmste Frage, die sich nicht immer unterdrücken ließ. Sie musste nach einem Lebenszeichen verlangen!
Anna ging hinunter und überquerte den Hof, in dem noch Schnee lag. Eine Krähe mit schwarzem, glänzendem Gefieder pickte an einem verschimmelten Apfel. Sie betrat die Küche, in der die beiden Mägde Gudrun und Judith das Mittagessen vorbereiteten. Anna schnitt sich eine Scheibe Brot von einem großen Laib und streute ein wenig Salz darauf. Gudrun erklärte, Cranach sei allein in der Werkstatt. Er habe die Gesellen beauftragt, weiter in den umliegenden Dörfern und am Fluss nach Martha zu suchen. Am Fluss, dachte Anna … Sie suchen also bereits nach ihrer Leiche! Gudrun biss sich auf die Unterlippe, als sie Annas Gesichtsausdruck bemerkte.
Anna verließ den Cranachhof. In den Gassen schaufelten winterlich gekleidete Männer und Frauen Schnee, der sich an manchen Stellen zu Miniaturgebirgen auftürmte. Ein Söldner kam ihr entgegen, sie hatte ihn einmal bei Cranach gesehen und wusste, dass er der Mann war, den der Fürst beauftragt hatte, Luthers Leben zu schützen. Sie begegneten sich am Eingang zum Marktplatz; im Hintergrund ragte die Stadtkirche in den Schneewolkenhimmel.
Möglicherweise seien seine Männer auf eine Spur gestoßen, sagte der Söldner. Er war offenbar ein Mensch, der ohne Umwege zur Sache kam. Er begrüßte sie nicht einmal. Als er hörte, was passiert sei, habe er fünfzehn Mann losgeschickt, sich an der Suche zu
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