Die Lutherverschwörung
soll je herausfinden, was Ihr getan habt.«
»Ihr seid verrückt!«
Plötzlich sprang er auf, so plötzlich und heftig, dass der Stuhl polternd auf die Holzdielen fiel. Seine Lippen zitterten, einen Moment fürchtete sie, er würde sie schlagen, aber dann gewann er seine Beherrschung zurück. Er hielt ihr seinen Zeigefinger vors Gesicht: So etwas solle sie nie wieder sagen!
Ich habe seinen wunden Punkt berührt, dachte Anna.
»Und hier ist das Geschäft, das wir beide abschließen«, fuhr er fort, immer noch mit erregter Stimme. »Ihr tötet Luther! Sein Leben gegen das von Martha!«
Ihr erster Impuls war es, laut zu lachen. Zu absurd, zu unglaublich erschien ihr das, was sie da gerade gehört hatte.
KAPITEL 12
Worms, im März 1521
Nur wenn der Kaiser den Kopf zur Seite drehte, fasste Aleander ihn scharf ins Auge. Dann wagte er es, das noch sehr junge, glatt rasierte Gesicht mit dem für die Habsburger typischen weit vorgeschobenen Kinn zu betrachten. Das Aussehen des vor kurzem gewählten Monarchen täuschte. Die tief liegenden, halb geschlossenen Augen und die ein wenig schlaff herabhängende Unterlippe verliehen ihm ein verträumtes Aussehen. So wirkte er aber nur, wenn man ihn nicht kannte. Wenn er diskutierte und Anweisungen gab, zeigte sich, wie energisch und selbstbewusst er in Wirklichkeit handelte. Er ist jedenfalls keiner, dachte Aleander, der um den heißen Brei herumredet. Und das gefiel ihm.
Sie waren zu viert, außer Kaiser Karl und Aleander nahmen der einflussreiche Ratgeber Gattinara und Glapion, des Kaisers Beichtvater, an der Besprechung teil. Die wirklich wichtigen Entscheidungen waren bisher nicht in der Ständeversammlung gefallen, sondern schon vorher im kleinen Kreis. Und dabei, fand Aleander, sollte es auch bleiben. An die Öffentlichkeit trat man erst dann, wenn alles schon feststand.
Der Reichstag war vor einigen Wochen eröffnet worden. Mit dem bisherigen Verlauf konnte Karl, der sich zum ersten Mal öffentlich im Reich zeigte, durchaus zufrieden sein. Er residierte zusammen mit seinem Hofstaat im Wormser Bischofshof.
Die vier Männer hatten sich in Karls Privatgemächern versammelt. Da der Kaiser viel auf Reisen war, führte er bestimmte Möbel, die ihm ein Gefühl von Heimat schenkten, immer bei sich. Solch ein Lieblingsstück war auch der hohe Lehnstuhl, auf dem er gerade saß.
Aleander, die Hände auf dem Rücken, ergriff das Wort. Er sprach fließend Spanisch, und seitdem er letztes Jahr im Juni als außerordentlicher Nuntius an den kaiserlichen Hof gekommen war, vertrat er die päpstliche Position in der Luthersache. Eine seiner wichtigsten Aufgaben war es gewesen, dem Kaiser die Bulle vorzustellen, welche Luther den Kirchenbann androhte.
»Eure Kaiserliche Majestät!«, begann Aleander, der noch immer nicht recht wusste, wie er Karl einschätzen sollte. Der Kaiser war so unglaublich jung, und von allen Seiten versuchte man, ihn zu beeinflussen. »Erlaubt mir, in diesem Punkt Eurem ehrwürdigen Beichtvater zu widersprechen.« Aleander erntete von Glapion einen nicht sonderlich freundlichen Blick. Ohne sich beeindruckt zu zeigen, fuhr er fort: »Gewiss gilt es, politische Rücksichten zu nehmen; sicher ist der Einfluss von Kurfürst Friedrich nicht zu unterschätzen – allerdings sollten wir auch die Gefahr, die von dem Ketzer ausgeht, ernst nehmen. Der Heilige Vater ist besorgt: Nachdem er Luther exkommuniziert hat, sollte er nun von der höchsten weltlichen Autorität bestraft werden: Auf den Kirchenbann muss die Reichsacht folgen! Nur so können wir der Schlange das Haupt zertreten.«
Aleanders Auftraggeber waren immer mit ihm zufrieden gewesen. Am liebsten hätte er Luther gebunden nach Rom geführt, damit er dort die Strafe empfing, die ihm gebührte, nämlich auf dem Scheiterhaufen geröstet zu werden … Aber das würde wohl ein Traum bleiben. Stattdessen wollte er erreichen, dass der Kaiser gegen Luther und seine Anhänger vorging; wenigstens sollte man sie des Landes verweisen. Die Schriften des Ketzers mussten allesamt verboten und verbrannt werden – am besten natürlich er selbst gleich mit.
»Ich gebe zu bedenken«, sagte der Beichtvater, »dass es ungeschickt wäre, Luther nach Worms zu laden.« Er sprach langsam und ohne Betonung, als lese er einen Text von einem Blatt ab. »Was würden wir damit bezwecken? Wir verschafften ihm die Möglichkeit, entweder als Held abzutreten oder als Märtyrer.«
»Glaubt Ihr nicht«, fragte Gattinara, der sich zum
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